Retro-Mode des Pop:Sehnsucht und eine keusche Seligkeit

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Nick Hornby, "Mad Men" und der Bossa Nova: Warum sich der Pop heute ausgerechnet nach der Ordnung der frühen sechziger Jahre sehnt.

Andrian Kreye

Es gibt keinen Schriftsteller, zu dem das Etikett "Popliterat" besser passt als zu Nick Hornby. Was den 52-jährigen Briten von vielen seiner Zeitgenossen unterscheidet ist die Tatsache, dass er den Pop nicht einfach als biografisches Element oder Genre-Requisit in seine Romane einbringt, sondern mit seinen Texten regelmäßig den Zustand des Pop auf den Punkt bringt, ohne sich gleich in die Metaphorik eines universalen Zeitgeistes zu versteigen, den der Pop gar nicht fassen könnte.

Bossa Nova 1964: Astrud Gilberto zähmt die Subkulturen. (Foto: Foto: SZ)

Nein, er konzentriert sich auf jene Vertreter seiner eigenen und der angrenzenden Generationen, die im bildungsbürgerlichen Milieu den Pop als Sinn- und Identitätsstifter betrachten. So bleibt der Pop ein eigener Kosmos, der ähnlich enge Grenzen hat wie das Spießbürgertum, gegen das er einst angetreten war. Aber gerade weil Nick Hornby diese Thema immer wieder als wertkonservativer Moralist angeht, der unter einem Happy End immer noch das shakespearsche "Love conquers all" versteht, ist er bei seiner Suche nach dem Kern des Pop so treffsicher.

Das ist ihm auch mit seinem neuen Roman "Juliet, Naked" wieder gelungen (Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2009. 304 Seiten, 19,95 Euro). Die Geschichte ist schnell umrissen. Annie und Duncan sind eines jener unzähligen Pärchen, die sich im Bodensatz der akademischen Welt eine bescheidene, aber komfortable Existenz eingerichtet haben. Seit 15 Jahren leben sie in einem heruntergekommenen Seebad an der englischen Küste. Außer der Unfähigkeit, aus ihrer leidenschafts- und kinderlosen Beziehung auszubrechen, verbindet sie ihr Interesse für Musik und Leben eines ominösen amerikanischen Singer-Songwriters namens Tucker Crowe, der 1986 nach einem Konzert spurlos verschwand.

Als eine abgespeckte Version von Crowes wichtigstem Album mit dem Titel "Juliet, Naked" erscheint, schreibt Annie einen Verriss für Duncans Fanwebseite, den dieser nur widerwillig ins Internet stellt. Doch der wahre Tucker Crowe findet sich in Annies Verriss viel besser verstanden, als in Duncans Lobeshymne und beginnt, mit Annie per E-Mail zu flirten. Zur selben Zeit landet Duncan in den Armen und im Bett einer Lehramtskollegin. Es entspinnt sich ein transatlantisches Beziehungsgeflecht, das schließlich in der Einsicht mündet, dass nur ein intaktes Familienleben vor der Falle der lebenslänglichen Infantilisierung im Pop bewahren kann.

Das klingt zunächst einmal so bürgerlich, als sei "Juliet, Naked" in den späten fünfziger oder frühen sechziger Jahren geschrieben worden, als Popkultur noch alle möglichen zersetzendem Eigenschaften nachgesagt wurden. Mit Annie, Duncan und Tucker Crowe schließt Hornby auch direkter an die Figuren und Themen seines Debütromans "High Fidelity" an, als mit jedem anderen seiner Folgeromane. Und sicher hat er den Pop wieder an einigen wunden Punkten im Kern getroffen.

Ist der Pophistoriker Duncan mit seinem fanatischen Aufarbeiten eines obskuren, unvollendeten Lebenswerkes dem Briefmarkensammler nicht so viel näher, als dem Glamour des Pop? Steht Annies Verzweiflung über ihre verschwendeten Jahre mit Duncan nicht stellvertretend für die Leere, die sich hinter diesem Glamour verbirgt? Ist der vielfache Vater unehelicher Kinder Tucker Crowe nicht das Menetekel für Alterseinsamkeit als logische Konsequenz allzu lässiger Bindungsunfähigkeit?

Lesen Sie auf Seite 2, was Hornbys Romane so charmant macht.

Es sind jedoch nicht nur Hornbys Charaktere, in denen sich die Sehnsucht des Pop nach Bürgerlichkeit manifestiert. Es ist auch die Form. Hornbys Romane lesen sich so flüssig und charmant, dass sie regelmäßig einen Sog entwickeln, dem man sich nur schwer entziehen kann. Literaturkritikern ist dieser Sog oft etwas peinlich. Das Unbehagen ist berechtigt, denn Nick Hornby tut nichts anderes, als unter dem Deckmantel des hippen Pop, den Trivialroman der Nachkriegszeit wiederzubeleben. Es ist kein Zufall, dass Hornbys Hauptfiguren in Filmen von dackeläugigen Heinz-Rühmann-Gestalten wie John Cusack, Hugh Grant oder Peter Sarsgaard gespielt werden.

War dieses Formenzitat des Liebes- und Familienromans bei Hornbys "High Fidelity" 1995 noch ein exotisches Spiel mit Retro-Genres, so ist er heute längst der Pionier einer Bewegung, die solche trojanischen Pferde bürgerlicher Unterhaltungsformen zu Hauf im Kosmos des Pop platzieren. All die bejubelten Serien amerikanischer Kabelsender, die hierzulande so gerne auf DVD gesehen werden, "The Sopranos", "Six Feet Under" oder "Mad Men", sind Seifenopern mit Anspruch. Die ineinander verwobenen Handlungsstränge, in denen sich diese modernen Patchworkfamilien verstricken, funktionieren nach genau jenem Muster des charmanten Sogs, wie Hornbys Popromanzen.

Auch die Musik hat sich längst wieder in jene Zeit bürgerlichen Wohlgefühls zurückbewegt, als das Wirtschaftswunder schon in vollem Gange und die Umwälzungen der sechziger Jahre nicht mehr als ein gesellschaftliches Wetterleuchten waren. Was sind die elektronischen Klänge von Air, Röyksopp oder Kruder & Dorfmeister anderes, als Easy Listening, das als Klangfläche eine ganz ähnliche moderne Behaglichkeit erzeugt, wie einst die Bachelor Pad Music von Martin Denny und Eumir Deodato?

Sind die Wiedergeburten des Chansons und des Bossa Novas bei Benjamin Biolay und Bebel Gilberto nicht die gleichen Annäherungen des Bildungsbürgertums an die Geborgenheitsgefühle des Schlagers wie ihre Vorläufer Charles Aznavour und Bebels Mutter Astrud? Unvergessen die Szene aus der Filmkomödie "Get yourself a College Girl" in der Astrud Gilberto 1964 mit Haarschleife und Modellkleidchen neben Stan Getz in Strickjacke ihren Hit "Girl from Ipanema" singt und mit einem Augenaufschlag der zornigen Latin Music und dem subversiven Modern Jazz ihrer Tage jegliches Moment der Rebellion austreibt.

Nicht einmal die bildende Kunst bleibt vor dieser bürgerlichen Nostalgisierung bewahrt. Findet sich in der gefeierten Fotokunst von Vertretern der Düsseldorfer Schule wie Andreas Gursky oder Axel Hütte nicht die Landschaftsmalerei des Biedermeiers?

Doch es ist ja nicht nur die Sehnsucht nach Bürgerlichkeit, die in diesen Formen und Motiven steckt. Sicher mag die Lebensmittenkrise so manchem 40- oder 50-Jährigen den Spass an der Plattensammlung vergällen, wenn er des poststudentischen Lebens in gemieteten Altbauwohnungen und freischaffenden Karriereschwankungen überdrüssig ist. Das allerdings ist nur das vordergründige Unwohlsein, hinter dem sich eine viel tiefgründigere Sehnsucht verbirgt. Denn die Ordnung der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre, die sich im moralischen Weltbild der Hornby-Roma genauso findet, wie in den Company Men und ihren Suburban Wives aus der Serie "Mad Men" und dem Neo-Bossa von Bebel Gilberto, ist letztlich ein überschaubares Weltbild, gegen das man gezielt rebellieren kann.

Nach Paris durchbrennen

Es ist kein Zufall, dass "Juliet, Naked" im Subtext auch ein Manifest gegen das Internet ist, das Hornby als bodenlosen Abgrund beschreibt, der jede menschliche Regung, jeden klugen Gedanken, jede Form von Kreativität im Nichts eines unüberschaubaren Netzwerkes aus Halbherzigkeiten verschwinden lässt. Es ist nicht die Ordnung als Sinnstifter, nach der sich diese Popkultur sehnt, sondern nach der Ordnung als ein klares Ziel für den Kampf. All jene Bedrohungen, die gerade die unsicheren Halbexistenzen der Generation Pop gefährden - die Wirtschaftskrise, die Überteuerung der Städte, die Aushöhlung der Kulturgeschäftsmodelle, die ominöse Globalisierung - sind jedoch kontur- und gesichtslose Systeme ohne klare Angriffspunkte. Gegen Chaos rebelliert man nicht.

Gegen eine Ordnung der spießbürgerlichen Enge aber, kann man sich auflehnen, Grenzen sprengen, Tabus brechen. Ganz so, wie es die Einserschülerin Jenny in Hornbys erstem Drehbuch "An Education" tut. Die brennt Anfang der sechziger Jahre mit einem Verehrer nach Paris durch, um zu feiern. So einfach war der Aufstand damals. So einfach war das Leben.

© SZ vom 07.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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