Reiseliteratur:Welt und Wort

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Antonio Tabucchi: Reisen und andere Reisen. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Carl Hanser Verlag, München 2016. 255 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: Hanser Verlag)

Antonio Tabucchi, der 1943 in der Nähe von Pisa geboren wurde und 2012 in seiner Wahlheimat Lissabon starb, war zeitlebens unterwegs. Jetzt sind seine Reisefeuilletons auch bei uns erschienen.

Von Maike Albath

Antonio Tabucchi, 1943 in Vecchiano geboren, Professor für Portugiesische Literatur und großer Pessoa-Kenner, war sein Leben lang ein Reisender. Er hielt sich abwechselnd in Vecchiano bei Pisa, Florenz, Paris, Lissabon und im Alentejo auf, und zwischendurch besuchte er Freunde in Griechenland, Ägypten oder Brasilien. Hinzu kamen Einladungen nach Australien, Indien oder in die USA. Seine Romane und Erzählungen, die er in lärmenden Cafés oder inmitten seiner Familie am Küchentisch in Lissabon niederschrieb, mischen häufig Wirklichkeit und Traum: Immer wieder kann ein Déjà-vu die reale Umgebung komplett außer Kraft setzen.

Dieses poetische Verhältnis zur Realität macht auch die Qualität von Tabucchis Reisefeuilletons aus, die in Tageszeitungen und Anthologien erschienen. 2010 brachte sie der Schriftsteller in einem Band versammelt in Italien heraus. Jetzt, vier Jahre nach seinem Tod, liegt "Reisen und andere Reisen" auf Deutsch vor. Mit seinem leichtfüßigen Parlando zieht Tabucchi den Leser sofort in seine Art der Welterkundung hinein. Seine Reisen führen rund um den Erdball und steigern sich oft zu ironischen lebensphilosophischen Meditationen, bei denen Hinweise auf besonders gute Gasthäuser nicht fehlen. Die Fremdheitserfahrung wird zum Erkenntnisprinzip. In Australien ist er enttäuscht von der Eintönigkeit Canberras, in Indien verzaubert vom Geheimnis des Nichtverstehens. Auf Spaziergängen durch seine zweite Heimatstadt Lissabon erklärt der Pessoa-Übersetzer, was es mit der Saudade auf sich hat und in welcher Straße zu welcher Uhrzeit man sie begreifen kann. Auch an exotischen Orten wie Rio de Janeiro oder Bombay fühlt sich der Lusitanist sofort zu Hause. In der Miniatur über Bombay erfährt man, dass der Name der Stadt auf das portugiesische Boa Baía, schöne Bucht, zurückgeht. Bemerkungen zu besonderen Gemälden im Kloster des Escorial in Spanien oder im Museum Delacroix in Paris wechseln immer wieder mit Hinweisen auf Lektüren. Antonio Tabucchi hat in Büchern gelebt. Seine Wahrnehmung war davon grundiert - ein Schritt über einen Platz, der Lichteinfall in einer Gasse, der Blick auf das Meer von einem Friedhof, und ein Vers von Drummond de Andrade oder eine Zeile von Paul Valéry blitzen auf. Seine unbändige Literaturlust ist ansteckend. Man sollte auf Reisen gehen und ihn lesen.

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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