Reformationsgeschichte:Wort und Waffe

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Die Ausstellung "Luther und die Fürsten" auf Schloss Hartenfels in Torgau gibt Einblick in das Zeitalter der konfessionellen Konflikte: Architektur, Politik, Religion, Schmuck und Malerei hinterlassen einen starken Eindruck.

Von Stephan Speicher

Die Architektur der deutschen Renaissance gilt als zweitklassig, und dafür gibt es Gründe, die Neigung zur Überdekoration zum Beispiel. Solche Züge lassen sich auch im Innenhof des Schlosses Hartenfels in Torgau an der Elbe beobachten. Die Wappengalerie am Großen Wendelstein etwa hat etwas Ungelenk-Deftiges. Aber der Wendelstein selbst, die geschraubte Freitreppe vor dem Johann-Friedrich-Bau, 1536 errichtet von Konrad Krebs, ist ein technisches und ästhetisches Wunder. Von sechs Pfeilern außen getragen dreht sie sich hoch um ein freies Auge, was heißt: Die innere Achse ist nicht als Stütze, als Widerlager der Stufen ausgeführt, sie gibt einen freien Durchblick nach oben. Etwas so Schönes gibt es nicht oft zu sehen, schön, weil zugleich großartig und leicht.

Torgau war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das politische Zentrum des Kurfürstentums Sachsen. 1485 war Sachsen zwischen den Wettinern Ernst und Albrecht geteilt worden. Das albertinische Sachsen umfasste einen südöstlichen Teil (um Meißen/Dresden) und einen nordwestlichen (um Leipzig), dazwischen zog sich von Nord nach Süd das ernestinische Sachsen. Dazu gehörte Torgau und nördlich davon Wittenberg mit seiner Universität und dem seit 1517 berühmten D. Martin Luther. Damit wurde Torgau zu einem Hauptort der Reformation. Denn dass Luther nicht als Ketzer verfolgt und hingerichtet wurde, sondern sich durchsetzen konnte, hing entscheidend an der Bereitschaft der sächsischen Kurfürsten, ihn zu stützen.

So war die Luther-Dekade Anlass für eine umfassende Restaurierung von Schloss Hartenfels und für die Ausstellung "Luther und die Fürsten", veranstaltet von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Es ist das Schicksal der Ausstellungen zur Reformation, mit dem alten Glauben zu beginnen und das heißt: mit Stücken, die man leichter moralisch oder intellektuell ablehnt als ästhetisch. Torgau eröffnet den Parcours mit Werken aus dem Besitz des Kardinals Albrecht von Brandenburg. Dieser zeittypische geistliche Multifunktionär war gegen das Kirchenrecht Erzbischof zugleich von Magdeburg und Mainz, hatte eine riesige Reliquiensammlung zusammengeschafft und liebte die Prachtentfaltung; Luther verachtete ihn als Beispiel der Verwahrlosung der Kirche.

Albrechts Mitra zeigt, warum. Über und über mit Goldschmiedearbeiten, Perlen und Edelsteinen besetzt wiegt sie mehr als zwei Kilogramm, als Teil des Kultus eine Frivolität. Aber die aufgebrachten Szenen, Mariä Verkündigung und die Geburt Christi, sind wirkliche Kunstwerke. Die Goldpailletten über den Figuren, die sich im Luftzug beständig bewegten, müssen als Abbild des göttlichen Lichtes tiefen Eindruck gemacht haben. Da ist die Kunst der Reformation karger. In Torgau kann man das an der frisch restaurierten Schlosskapelle prüfen. Luther selbst hat sie 1544 eingeweiht, sie übertraf seiner Meinung nach die Schönheit des salomonischen Tempels. Und gewiss ist es ein gelungener Raum, klar, einheitlich, von Altar und mehr noch von der Kanzel als dem Ort der Verkündigung des göttlichen Wortes dominiert. Der Bildschmuck ist und war zurückhaltend. Die Orgel aber hängt prominent über dem Altar, das tief gefaltete Zellengewölbe mag der Verbesserung der Akustik gedient haben: Die Ausdrucksformen des Protestantismus sind Wort und Musik. Das bringt ihn in historischen Ausstellungen ins Hintertreffen.

Allerdings setzten Luthers Parteigängern auch die Malerei propagandistisch ein. Hier hält sich die Ausstellung zurück, um nicht in Konkurrenz zu den aktuellen Cranach-Ausstellungen zu treten. Statt der Malerei setzt sie auf das Kunstgewerbe und besonders auf Prunkwaffen. Und wirklich ist das konfessionelle Zeitalter ja eines zahlreicher militärischer Konflikte.

Der Schmalkaldische Bund protestantischer Fürsten unterlag 1547 bei Mühlberg an der Elbe dem kaiserlichen Heer, in Torgau sind die Rüstungen der Feldherrn ausgestellt. Karl V. trug einen Harnisch mit der Madonna in der Flammenglorie, sehr katholisch. Die Rüstung seines sächsischen Gegners, Johann Friedrichs des Großmütigen, war weniger aufwendig, aber auf geistliche Armierung verzichtete auch er nicht; seine Radschlosspistole trägt die Inschrift "Des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit", sehr evangelisch. Das sieht man, je nach Temperament, mit Empörung oder Trauer. Gewiss aber erhält man einen Eindruck vom Ernst der Auseinandersetzung und ebenso von der Vermengung des Religiösen mit dem Politischen - bedenkt man, dass der dritte Feldherr, Herzog Moritz von Sachsen, als Protestant an der Seite des katholischen Kaisers focht, um seinem Verwandten Kursachsen abzunehmen. Den Namen eines "Judas von Meißen" wurde er nicht mehr los.

Im Fortgang der Ausstellung werden die Konturen unklarer. Das liegt in der Natur der Sache. In die konfessionellen Fragen der Zeit mischten sich auf die verzwickteste Weise territoriale. Und die konfessionellen Fragen selbst, die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten etwa, sind kaum so anschaulich darzubieten, wie es eine Ausstellung verlangt. Die Kurpfalz etwa erlebte ein konfessionsgeschichtlich höchst wechselhaftes 16. Jahrhundert. Eine kleine Porträtbüste, kaum handspannenhoch, Peter Schro zugeschrieben, zeigt den Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich um 1556 als massige, in sich zusammengesunkene Gestalt: ein großer Herr, von tiefer Skepsis erfüllt. Ihn sieht man auch dann mit Anteilnahme, wenn der Quellenwert unklar ist. Es ist ein Vorzug der Torgauer Ausstellung, dass sie auch dort, wo der religions- oder profangeschichtliche Faden dünn wird, mit bedeutenden Stücken Aufmerksamkeit beanspruchen kann.

Zuletzt, in der alten Kanzlei, wenige Hundert Meter vom Schloss entfernt, wird deutlich, was auf lange Sicht die Nähe von Luthertum und Fürsten ausmacht. Die frühneuzeitliche Verdichtung der Herrschaft, Rationalisierung, Bürokratisierung, "Policierung", die Rolle gelehrter Juristen, das alles prägt auch die neue evangelische Welt. Kirchen und Schulen werden nun planmäßig visitiert, weltliche und geistliche Autoritäten arbeiten zusammen. Die Macht der römischen Kurie ist in den reformierten Ländern gebrochen, es entstehen neue behördliche Autoritäten. Aber daneben gibt es den Appell an jedermann. Die Reformation ist auch eine Medien- und Bildungsrevolution. 1546, im Todesjahr Luthers, sind bereits eine halbe Million Bibeln in hochdeutscher Sprache gedruckt. Dazu kommt das polemische Schrifttum, zum Teil von erheblicher Giftigkeit.

So empfängt man in Torgau einen starken Eindruck von der Welt der Lutherzeit, in den Exponaten, aber auch in Kapelle und Schloss, im Stadtbild und selbst dank der Bären, die sich wie vor Jahrhunderten im Schlossgraben tummeln. Es ist fast wie ein Besuch in Kaisersaschern, wo der Doktor Faustus Thomas Manns seine Gymnasialbildung erhielt.

Luther und die Fürsten. Torgau, Schloss Hartenfels, bis 31. 10. 2015. Katalog und Aufsatzband kosten in der Ausstellung zusammen 40 Euro, im Buchhandel 62 Euro. Info: www.luther.skd.museum

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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