Raubkunst:Es geht ewig so weiter

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In Bonn sind erste Werke aus dem Gurlitt-Fund zu sehen. In Vorbereitung ist eine Doppelausstellung in Bonn und Bern. Derweil wird weiter darüber gestritten, wieviel NS-Raubkunst sich in dem Konvolut überhaupt befindet.

Von Jörg Häntzschel

Sechs Werke aus dem Gurlitt-Fund, erstmals zu sehen: Das genügte, um am gestrigen Dienstag eine erstaunlich große Menge Journalisten nach Bonn in die Bundeskunsthalle zu locken. Der Pressetermin diente als Teaser für die große Gurlitt-Doppelschau, die ab November in Bonn und Bern zu sehen sein wird. Und er sollte signalisieren: Die Suche nach Raubkunst geht weiter! Wir tun was! Um das zu demonstrieren, präsentierte man die Werke nicht in einem Ausstellungssaal, sondern führte die Presse in die Werkstätten. Während sich die Restauratoren weiter über ihre Bilder beugten, drängten sich vorne die Reporter um die Tische, wo nach und nach die Schutzpapiere gelüftet wurden.

Diese antiauratische Inszenierung war so raffiniert wie sympathisch. Auch sonst verzichteten die Kuratoren und Provenienzforscher sowie der Kunsthalle-Chef Rein Wolfs auf das Getue, das von Seiten der Politik gerne um die Werke gemacht wird. Das wertvollste Stück hier, Claude Monets trübe Londoner Studie "Waterloo Bridge" (1903) aus Gurlitts Salzburger Haus, hing lange hinter den Sprechern, als hätten sie es vergessen. Als sie das Werk des impressionistischen Superstars endlich erwähnten, beeilten sie sich, anzumerken, es sei verschimmelt gewesen und müsse noch "auf Sporen" untersucht werden. Auch die anderen Werke, ein "Männlicher Akt" in Kohle und Pastell von François Boucher, zwei weibliche Rückenakte in Rötel von Aristide Maillol und der Kupferstich "Ritter, Tod und Teufel" von Albrecht Dürer, funkelten unter den Neonröhren nicht gerade. Die Hände in Gummihandschuhen schleppte die Chefrestauratorin Ulrike Klein aus einem Gitterschrank schließlich noch Rodins Marmorskulptur "Kauernde" herbei wie irgendeinen Stein.

Die Ausstellung soll kein Best of werden, sondern ein repräsentativer Querschnitt

Man wollte hier eben nicht den künstlerischen Rang von Gurlitts Erwerbungen unterstreichen. Und auch die Ausstellung soll kein "Best of" werden, sondern ein repräsentativer Querschnitt durch den "Fund" - von einer ernsthaften Sammlung könne man nicht sprechen. Während sich die Berner Hälfte der Gurlitt-Schau auf die Werke der "Entarteten Kunst" konzentriert, soll der Bonner Teil eher Dokumentarcharakter haben. Es geht nicht um Kunst, sondern um Raubkunst. Zusammen mit den fünf Skulpturen, 55 Gemälden, und 200 Arbeiten auf Papier will man "Opferbiografien darstellen", "Fallstudien machen", die "Mechanismen der Enteignung und der Entrechtung" darstellen. Und zeigen, was Provenienzforschung eigentlich ist.

Das ist ein lobenswertes und überfälliges Projekt. Und schon deshalb vernünftig, weil Gurlitts Bestände nicht gerade Blockbuster-Qualität haben. Es verführt aber dazu, die Werke selbst dann unter den Raubkunst-Makel zu stellen, wenn es darauf keine Hinweise gibt. "Für Gurlitt gilt keine Unschuldsvermutung", so die Kuratorin Agnieszka Lulinska. Sobald es Lücken gebe in den Lebensläufen der Bilder, müsse man von Raubkunst ausgehen. Und selbst ein für "lupenrein" befundenes Bild könne durch neue Archivfunde jederzeit wieder in Verdacht geraten. Im Prinzip müsse die Forschung "ewig" weitergehen.

Sieht man es so, überrascht natürlich nicht, dass von den 260 Werken 200 unter Raubkunstverdacht stehen. Erst vor einem Jahr war noch die Rede von 91 Fällen im gesamten Gurlitt-Konvolut. Doch Kunsthistoriker und Experten, die sich eingehend mit der Sammlung beschäftigt haben, bezeichnen diese Zahlen als "maßlos übertrieben". Einer von ihnen hält die sechs präsentierten Werke nach heutigem Wissensstand für "völlig unverdächtig". Sie gehen nach wie vor von einer niedrigen zweistelligen Zahl von Raubkunst-Werken im Gurlitt-Fundus aus.

Vieles deutet darauf hin, dass man hier fortsetzt, was am Gurlitt-Verfahren seit Jahren kritisiert wird. Am unspezifischen Raubkunst-Verdacht wird womöglich festgehalten, "weil sich nur so das ganze Verfahren" - Beschlagnahme, Millionen-Ausgaben für die Erforschung einer privaten Sammlung - "nachträglich rechtfertigen lässt". Und weil nur so von der noch immer schleppenden Erforschung der Raubkunst-Werke in öffentlichen Sammlungen abgelenkt werden könne.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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