Raffael-Version im Frankfurter Städel:Aus dem Hut gezaubert

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Das Bildnis des nachdenklichen Papstes Julius II. gehört zu den berühmtesten Werken von Raffael. Das Frankfurter Städel-Museum hat nun eine bisher unbekannte Fassung für seine Altmeister-Sammlung erworben. In der Forschung tobt nun ein Streit darüber, wie weit Raffael selbst an dem Werk beteiligt war.

Sandra Danicke

Das Motiv ist ein ungewöhnliches: Ein Papst, noch dazu einer, der für seinen Jähzorn bekannt war, sitzt bärtig und nachdenklich versunken auf seinem Stuhl. Als Raffael zwischen Juni 1511 und März 1512 Papst Julius II. auf diese höchst unübliche Weise porträtierte, verband das Kirchenoberhaupt mit dieser programmatischen Darstellung eine klare Botschaft:

Max Hollein, der Direktor des Frankfurter Städel-Museums, posiert neben einem Porträt von Papst Julius II. des italienischen Künstlers Raffael aus dem Jahr 1511/1512. (Foto: dapd)

Julius II., der nicht zuletzt mit dem auf Cäsar anspielenden Namen seinen klerikalen und weltlichen Herrschaftsanspruch demonstrierte, wollte als Intellektueller wahrgenommen werden. Schließlich veranlasste er als Mäzen maßgeblich zahlreiche Hauptwerke der italienischen Hochrenaissance.

Das Bildnis des Papsts Julius II., von dem eine Fassung in der Londoner National Gallery und eine in den Uffizien in Florenz existiert, gehört zu Raffaels berühmtesten Werken. Als vor mehr als 40 Jahren Restauratoren einen übermalten Wappenvorhang in der Londoner Fassung nachweisen konnten, galt dieser Fund als Sensation.

Bis dato hatte man das Werk für eine Kopie gehalten. Als Original galt die Florentiner Fassung. Seit 1970 nimmt man nun an, es verhalte sich umgekehrt. Schließlich lasse der später verworfene Hintergrund auf eine Veränderung der Bildkonzeption schließen.

Jetzt wartet das Frankfurter Städel-Museum mit einer weiteren Fassung auf, die einem wie aus dem Hut gezaubert vorkommt. Das Bild, das 2007 in Wien von der Sammlung Ellermann als Werk eines Raffael-Nachahmers ersteigert worden ist, wurde von der Wissenschaft bislang nicht weiter beachtet.

Nachdem das Städel das Werk nun als Höhepunkt seiner kurz vor der Neueröffnung stehenden Altmeister-Sammlung präsentiert, dürfte sich das ändern. Es handele sich, so das Museum, um ein Werk "von Raffael und Werkstatt". Kann das sein?

Bemerkenswerte Beweise

Zur Untermauerung dieser kühnen Behauptung hat das Museum gestern eine Reihe bemerkenswerter Indizien präsentiert. So wurde das 106 mal 78,4 Zentimeter große, auf Pappelholz gemalte Bildnis, das den Papst lebensgroß sitzend als Dreiviertel-Porträt zeigt, kunsthistorisch und gemäldetechnologisch umfassend analysiert.

Alte Firnisschichten und Retuschen wurden entfernt. Tatsächlich lässt sich anhand der mit Infrarotreflektografie sichtbar gemachten Unterzeichnung eine Reihe kleinerer Modifikationen im Verlauf der Ausführung nachweisen. So weichen die gezeichneten Eicheln des Familienwappens, die seitlich den thronartigen Lehnstuhl krönen, von jenen ab, die letztlich ausgeführt wurden - wenn auch nur minimal. Auch die Position der Fingerringe unterscheidet sich von jener im fertigen Bild, die wiederum in allen drei Fassungen nahezu identisch ist. Die Röntgenaufnahme zeigt überdies eine im Malprozess verworfene Segnungs-Geste der rechten Hand.

Sammlungsleiter Jochen Sander verweist darüber hinaus auf den Ringstein am Zeigefinger, der im Londoner Bild weniger präzise ausgeführt wurde, und zieht eine in der Devonshire Collection im englischen Chatsworth aufbewahrte Porträtstudie heran, die einen "analogen Duktus" aufweise. Sander ist überzeugt:

"Unser Werk hat in Raffaels Werkstatt im Prozess der Bildfindung eine Rolle gespielt." Der Altmeister-Experte hält es gar für möglich, dass es sich bei dem Städel-Bild um das Original handelt - eine steile These, die in der Fachwelt keine ungeteilte Zustimmung finden dürfte. Es sei jedoch ebenso gut möglich, so Sander, dass in Raffaels Werkstatt mehrere Varianten für verschiedene Auftraggeber angefertigt worden seien.

Für ausgemacht hält er die Tatsache, dass Raffael nicht nur den Entwurf geliefert, sondern auch im Malprozess selbst Hand angelegt hat. Weniger geglückte Partien, wie die eher summarische Behandlung des weißen Rochetts (des Unterkleids) führt er auf die Beteiligung der Werkstatt zurück.

Sämtliche Untersuchungen der verwendeten Materialien und der Ausführungstechnik, so Städel-Direktor Max Hollein, belegten zweifelsfrei die Entstehung des Werks in einer italienischen Künstlerwerkstatt des frühen 16. Jahrhunderts.

Angesichts der Funktion des Motivs als Propagandabild ist die Produktion zeitnaher Kopien aus fremden Werkstätten freilich nicht ungewöhnlich. Irritierend ist auch die nur bis 1905 zurückreichende Provenienz. Kann es sein, dass ein so wichtiges Bild Jahrhunderte lang in der Versenkung verschwindet? Gewiss ist: das Bild wirft Fragen auf, die die Forschung nachhaltig beschäftigen werden. Im Städel Museum in Frankfurt am Main sind die Alten Meister vom 15. Dezember an in neuer Ordnung zu erleben.

© SZ vom 07.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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