Quellenlage:Wirrnis, Trübsal

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Scholastik des Irrsinns: Hitlers Quellen auf der Spur. Morphologie und Physionomik waren ihm zu anspruchsvoll. Er blieb lieber im Bildfeld von Tierzüchtung und Bakteriologie. Die schockierendste Verbindung zur hohen Kultur: Wagner.

Von Gustav Seibt

Welcher Art die Ergebnisse sind, die die Kommentierung von Hitlers Hass-Buch "Mein Kampf" erbringt, kann eine detaillierte Zusammenstellung zeigen, die Roman Töppel, einer der Herausgeber der Neuausgabe, in der jüngsten Nummer der Vierteljahreshefte für Zeitgeschiche vorlegt (Heft 1/2016, ",Volk und Rasse' - Hitlers Quellen auf der Spur"). Töppel untersucht darin ein Kernstück der nationalsozialistischen Ideologie, das Rassedenken, auf seine Quellen. Da Hitler einbekanntermaßen nur das zur Kenntnis nahm, was "zur Eingliederung in das immer schon irgendwie vorhandene Bild" taugte, scherte er sich auch nicht um Widersprüche. Durchgehend spricht er von "jüdischer Rasse", obwohl selbst fanatische Antisemiten wie der "Rassenpapst" Hans F.K. Günther, nur von einem "jüdischen Volk", wenn auch mit starkem "Rassebewusstsein" faselten. "Rassen" wurden dabei in Analogie zu Tierarten (Spezies) aufgefasst, was die angebliche Schädlichkeit von "Bastardisierungen" belegen sollte - ein schon begrifflicher Unsinn, der auch nach damaligem biologischen Kenntnisstand offenkundig war. Solche "Klärungen" lohnen kaum das Papier, auf dem sie gedruckt werden. Interessanter ist der geistige Sumpf, aus dem sie kommen, das völkische Schrifttum seit dem späten 19. Jahrhundert.

Ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Hitler bei Karl May und Karl Haushofer oder Lanz von Liebenfels eher nicht fündig wurde, sich aber dafür bei Houston Stewart Chamberlain und Richard Wagner, neben vielen weniger bekannten Namen, sehr wohl bedienen konnte? Dass seine Verwendung von Zitaten Schopenhauers und Theodor Mommsens selektiv und missbräuchlich war? Dass der "Arier"-Begriff eine Vorgeschichte hat, die zu Herder und Friedrich Schlegel zurückreicht? Irgendwo darf das zusammengefasst werden, doch der Gesamteindruck von Wirrnis, Trübsal und Dumpfheit, den die Scholastik des Irrsinns am Ende erzeugt, kann nur als niederschmetternd bezeichnet werden.

Von wirklichen Entdeckungen kann man kaum reden - die meisten der bei Töppel genannten Autoren wie etwa Julius Langbehn, Heinrich Claß, Theodor Fritsch, Alfred Rosenberg sind der Forschung zur völkischen Rechten, wie sie vor allem Stefan Breuer seit vielen Jahren betreibt, längst bekannt. Die schockierendste Verbindung zur hohen Kultur, Richard Wagners Hetzschrift über das "Judentum in der Musik", war nie vergessen. Die von Per Leo in seiner Dissertation "Der Wille zum Wesen" (2013) aufgezeigten Verbindungslinien des nationalsozialistischen Rassismus zu einem bildungsbürgerlichen Ungleichheitsdenken, die über Morphologie, Physiognomik und Graphologie führten, spielen in Töppels Darlegung keine Rolle. Schon sie waren also für den Verfasser von "Mein Kampf" zu anspruchsvoll - er verblieb lieber im Bildfeld von Tierzüchtung und Bakteriologie.

Noch einen empirischen Befund führt Roman Töppel an. Da Juden bei Antisemiten als schwarzhaarig galten, nennt er die Ergebnisse einer von Rudolf Virchow 1886 publizierten Untersuchung von 75 377 jüdischen Schulkindern im Deutschen Reich von 1875/76: 11,5 Prozent hatten schwarze Haare, 32 Prozent waren blond, ein Viertel davon blauäugig. Hitler war dunkelhaarig.

Gut, dass wir das jetzt auch wissen.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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