Premiere:Mit all diesen erotischen Anspielungen

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Er dirigiert "Arabella", die meistbeachtete Premiere der diesjährigen Festspiele: Der 40-jährige Schweizer Philippe Jordan verehrt die Musik von Richard Strauss, die ihn durch seine Karriere begleitet hat.

Von Klaus Kalchschmid

Philippe Jordan ist ein leidenschaftlicher Verehrer der perfekt instrumentierten, harmonisch so reichen und geradezu schamlos melodiösen Musik von Richard Strauss. Darin unterscheidet er sich nicht von den meisten seiner Kollegen. Strauss war Jordan bei seiner steilen Karriere ein steter Begleiter. Dessen gewaltige Tondichtung "Alpensinfonie" hat er vor fünf Jahren denn auch für seine erste Aufnahme mit dem Orchester der Pariser Oper gewählt.

Schon als 19-jähriger Korrepetitor hat Jordan den "Rosenkavalier" in Paris kennen und lieben gelernt. Er dirigierte die Oper später unter anderem in Berlin und an der Mailänder Scala. Als junger erster Kapellmeister in Ulm kam er mit "Elektra" in intensiven Kontakt; später dirigierte er "Salome" (ein elektrisierender Abend aus Covent Garden von 2008 ist auf DVD festgehalten), "Capriccio" an der Wiener Staatsoper und immer wieder "Ariadne auf Naxos". Aber erst vor drei Jahren leitete der heute 40-jährige Schweizer in Paris - wo Jordan bis 2018 Chef der Opéra Nationale ist - seine erste "Arabella".

Umso mehr freut er sich, dass es nach wenigen "Parsifal"-Vorstellungen vor ein paar Jahren endlich mit einer Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper geklappt hat. Im Gespräch erweist sich der Sohn des Dirigenten Armin Jordan, der 1982 Dirigent und Darsteller des Amfortas in Hans Jürgen Syberbergs kühner Verfilmung des "Parsifal" war, als kritisch Liebender: "Hofmannsthal schrieb ja von einem ,zweiten Rosenkavalier' ohne dessen Längen. Aber Arabella ist kein zweiter Rosenkavalier. Sie besitzt ganz eigene Qualitäten - und Schwächen! Sie hat nicht die perfekte Dramaturgie einer "Elektra" oder die, des Welterfolgs von 1911, die auf einen Theaterpraktiker wie Max Reinhardt zurückgeht. Der Dramaturgie in "Arabella" muss man nachhelfen. Strauss und Hofmannsthal waren nicht fertig damit, weil Letzterer ja überraschend gestorben ist. Sonst hätten beide - wie immer - sicher noch ausgiebig gefeilt." Aus Ehrfurcht habe Strauss dann aber am Text entlang komponiert, ohne zu ändern.

Philippe Jordan bei der Arbeit. (Foto: Wiener Symphoniker/JF Leclerq)

"Es ist ein lautes und doch ein Konversationsstück geworden. Anders als beim späten Capriccio muss man die notwendige Durchsichtigkeit erst herstellen, und die ist entscheidend, weil jedes Wort des Textes so wichtig ist. Gleichzeitig muss ein musikalischer Fluss herrschen. Arabella ist, 20 Jahre später entstanden, viel realistischer und damit auch spannender. Man kann das Geschehen von 1860 gut in die Entstehungszeit verlegen, also die späten 1920er Jahre, wie auch wir es getan haben. Der Tanz auf dem Vulkan ist vorbei, jetzt herrscht Desillusion, und es geht ja auch ganz konkret um verarmten Adel."

Jordan weiß, dass etwa die Koloraturen der ordinären Fiakermilli "richtig schrill sind" und betont: "Man muss daran arbeiten, dass die Walzer weniger brillant, weniger klassisch klingen, weniger spritzig, dafür aber mehr Wehmut besitzen. Sie müssen in all ihrer Doppelbödigkeit, Dekadenz und Patina schillern, zumal der Walzer - anders als im Rosenkavalier - hier historisch an seinem richtigen Platz steht."

Nach seiner Lieblingsstelle in der Oper befragt, möchte Jordan sich keinesfalls auf eine festlegen: "Da ist zum einen die traumhafte Musik am Schluss, nachdem sich Arabella ein Glas frisches Wasser erbeten hat und nun langsam damit die Treppe herabgeht; dann liebe ich den, wie ich ihn nenne - Matteo-Ritt - zu Beginn des dritten Akts mit all seinen erotischen Anspielungen auf eine Liebesnacht. Wunderbar ist auch Arabellas Monolog ("Mein Elemer?") am Ende des ersten Akts - mit seiner Ambivalenz im Text, seinen feinen Tempo-Rückungen, dem immer wieder hereinspielenden Walzer und dazu dieses sensible, fragile Bratschen-Solo."

Auf die Frage nach der schwierigsten Stelle der Oper für einen Dirigenten gibt Jordan zu: "Vieles ist heikel an dieser Partitur. Den ersten Akt auf den Punkt zu bringen, ist schwierig. Macht man den Anfang mit der Kartenaufschlägerin langsamer, damit alles verständlich wird? Oder doch lieber schneller, damit alles in Fluss kommt?" Erst mit dem Duett Zdenka/Arabella ("Aber der richtige, wenn's einen gibt für mich auf dieser Welt") sei endlich ein Highlight erreicht, und Jordan wagt einen kühnen Vergleich: "Das ist wie bei Carmen, wenn endlich die Habanera kommt! Der Ball-Akt ist schon einfacher und der dritte mit seiner Zuspitzung fast ein Selbstläufer."

Mit welcher der Figuren kann sich Jordan am ehesten identifizieren? "Mit keiner", lautet die spontane Antwort, dafür sei die Geschichte zu sehr die "vom Hollywood-Helden, der auf dem weißen Schimmel hereinreitet". Aber der Dirigent betont, dass alle seine Sympathien Zdenka, der jüngeren Schwester Arabellas gelten, die in Männerkleidern herumlaufen muss, weil die Eltern glauben, keine zwei Mädchen standesgemäß präsentieren zu können, aber selbstlos die tiefsten und ehrlichsten Gefühle zeigt. "Das hat sexuelle Unterdrückung zur Folge und nicht zuletzt ist Zdenka in Hofmannsthals zugrunde liegender Erzählung Lucidor die Hauptfigur, Arabella aber die böse, unangenehme, kalte Nebenfigur. Doch das relativiert sich in der Oper, da dreht sich alles um Arabella."

Arabella , Premiere: Mo., 6. Juli, 19 Uhr, Matinee zu Arabella, So., 28. Juni, 11 Uhr, Nationaltheater

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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