Preisträger:Lauter Ortstermine

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Die Preise der Leipziger Buchmesse: Esther Kinsky führt nach Italien, Karl Schögel in die Sowjetunion und mit Zerhij Zhadan geht es in die Ukraine.

Von Lothar Müller

Esther Kinsky, 1956 bei Köln geboren, hatte Slawistik studiert und war literarische Übersetzerin, bevor sie 2007 begann, Lyrik und Romane zu publizieren. (Foto: Christoph Hardt/imago/Future Image)

Es gibt Bücher, deren Pathos steckt in den Formen, die sie zitieren. Ein solches Buch hat in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik gewonnen, Esther Kinskys "Hain. Geländeroman" (Suhrkamp). Es gibt sich auf der Oberfläche spröde, zeigt bei seiner Reise nach Italien den klassisch-romantischen Sehnsuchtsbildern der Deutschen die kalte Schulter, und setzt das "Gelände" gegen das poetisch aufgeladene Wort "Landschaft". Aber dafür ist der "Hain" den Toteninseln nahe, und so wird aus den Ortsterminen einer Erzählerin, die im Gedenken an ihren jüngst verstorbenen Mann und ihren Vater unterwegs ist, dann doch eine sehr deutsche Seelenreise, die ihre drei Schauplätze einer italienischen Pathosformel anschmiegt, einem Triptychon Fra Angelicos.

Die Jury hat das mehr überzeugt als Anja Kampmanns Debütroman "Wie hoch die Wasser steigen" (Hanser) über den Weltverlust eines modernen Wanderarbeiters, Georg Kleins biologistisch-fantastischen Angestellten- und Abenteuerroman "Miakro" (Rowohlt), die DDR-Erkundung deutsch schreibenden Amerikanerin Isabel Fargo Cole in "Die grüne Grenze" (Nautilus) und Matthias Senkels wagemutig verspielten Roman "Dunkle Zahlen" (Matthes &Seitz)

. Senkels Buch entwickelt seine Reflexionen über das Erzählen im Computerzeitalter im Blick auf die Datenverarbeitungsmaschinerie der untergehenden Sowjetunion. Karl Schlögel hat für sein Opus Magnum "Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt" den Sachbuch-Preis erhalten. Mit seiner Lektüre der Dinge und Ort, Gerüche und Gewohnheiten einer machtdurchtränkten Gesellschaft hat er die beiden anderen Monumental-Kandidaten aus dem Hause C.H. Beck hinter sich gelassen, Gerd Koenens "Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus" und Bernd Roecks Epochenpanorama der Renaissance, "Der Morgen der Welt".

Gegen die Wucht der Geschichte kam weder die Gegenwartsanalyse des Soziologen Andreas Reckwitz ("Die Gesellschaft der Singularitäten", Suhrkamp) an noch Martin Gecks gedankenreiche "Beethoven" (Siedler). Der Zerfall von Imperien birgt Katastrophen. Die postsowjetische Welt in ihrer Grausamkeit und Ausweglosigkeit wird greifbar in Serhij Zhadans Roman "Internat" über den Kriegsschauplatz Ukraine. Sabine Stöhr und Juri Durkot erhielten für ihre Übertragung der dynamischen Prosa-Kaskaden aus dem Ukrainischen den Preis in der Kategorie Übersetzung. Jeder Preis ist mit 20 000 Euro dotiert.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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