Preis:Meisterinnenwerke

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Der Preis der Buchmesse geht in allen Kategorien an Frauen. Natascha Wodin gewinnt mit ihrem Roman "Sie kam aus Mariupol" mit einer Spurensuche.

Von Jens Bisky

Natascha Wodin (links) und Barbara Stollberg-Rilinger. (Foto: Stadtbibliothek Hanau/dpa; privat)

Nach Leipzig war Natascha Wodins Mutter während des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion verschleppt worden, zur Zwangsarbeit in einem Montagewerk für Kriegsflugzeuge, das zum Flick-Konzern gehörte. Sie war damals 23 Jahre alt und sie hat ihrer 1945 in Fürth geborenen Tochter nur wenig über ihre Erlebnisse erzählt. Als sie sich das Leben nahm, hinterließ sie einige Fotos und den Satz: "Wenn Du gesehen hättest, was ich gesehen habe .

.." An diesem Donnerstag stand Natascha Wodin in Leipzig in der Glashalle des Messegeländes und nahm für ihre literarische Biografie "Sie kam aus Mariupol" (Rowohlt-Verlag) den Preis der Buchmesse in der Kategorie Belletristik entgegen. Ihre poetische Spurensuche war zuvor schon zum Favoriten erklärt worden. Und das mit Recht.

Im Internet beinahe zufällig nach ihrer Mutter suchend, erfuhr Wodin auch von ihrer Tante Lidia, die während des stalinschen Terrors in ein Lager verschleppt worden war. Sie entdeckte Vorfahren aus großbürgerlichen und adligen Familien und rekonstruierte eine europäische Familiengeschichte, die in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer begann und das Aufwachsen in Lagern für Displaced Persons einschließt. "Kühle Genauigkeit im beobachteten Detail", bescheinigte die Jury unter dem Vorsitz der Kritikerin Kristina Maidt-Zinke dem Buch Wodins.

Zum dreizehnten Mal wurde der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, zum ersten Mal ging er in allen drei Kategorien an Frauen. Unter den fünf nominierten Sachbüchern gewann die derzeit in Münster lehrende Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger. Ihre Biografie der Habsburgerin Maria Theresia ("Die Kaiserin in ihrer Zeit", Verlag C. H. Beck) überzeugt dank der Distanz nicht nur zu den Klischees monumentaler Geschichtsschreibung, sondern auch dank der Distanz zur Protagonistin dieser Biografie, der gottesfürchtigen Herrscherin, die Familien, Hof und Gesellschaft einem strengen Regiment unterwarf. Stollberg-Rilinger, eine der produktivsten und klügsten Historikerinnen des Landes, nutzt den historischen Abstand zum Erkenntnisgewinn und erhellt Maria Theresias Epoche mit ihren uns mal umständlich, mal unverständlich scheinenden Ritualen. Dieses Buch ist, so der Juror Alexander Cammann, ein "Meisterinnenwerk".

Das trifft auf andere Weise, aber gleichermaßen auch auf die Preisträgerin unter den Übersetzern zu. Die Schweizer Sinologin Eva Lüdi Kong hat eines der größten und bis heute populärsten Werke der chinesischen Literatur übersetzt, dessen heutige Fassung 400 Jahre alt ist, "Die Reise in den Westen" (Reclam-Verlag). Bislang konnten auf Deutsch nur Auszüge aus dem Riesenroman gelesen werden, der erzählt, wie der Affenkönig auf eine abenteuerliche Fahrt geht, um die Schriften Buddhas zu holen.

Große Literatur sei nie optimistisch, sagte die Jury-Vorsitzende Kristina Maidt-Zinke zu Beginn, sie sei mit der Melancholie im Bunde, nicht mit der Optimierung. Den Vorzug des Leipziger Preises, in drei Sparten Aufmerksamkeit für hervorragend Neues zu organisieren, hat die Jury gekonnt genutzt. Jede Preisträgerin erhält 15 000 Euro und wird die kommenden Messetage mit Gesprächen, Signierterminen und Lesungen verbringen.

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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