Porträt:Ohne Tricks

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Der Puppenspieler Nikolaus Habjan erobert das Wiener Theater. In München inszeniert der Österreicher demnächst bei den Opernfestpielen seine erste Oper.

Von Wolfgang Kralicek

Als fünfjähriger Bub hat Nikolaus Habjan im Salzburger Marionettentheater Mozarts "Zauberflöte" gesehen. Danach war eigentlich alles klar. "Mit zehn habe ich beschlossen: Ich werde Opernregisseur und Puppenspieler." Jetzt, mit 29, ist es so weit. Als Puppenspieler ist Habjan in Wien längst eine große Nummer, und bald steht in München sein Debüt als Opernregisseur an. Für die Opernfestspiele inszeniert er Carl Maria von Webers "Oberon, König der Elfen", Premiere ist am 21. Juli im Prinzregententheater. Bereits an diesem Wochenende (8. und 9. Juli) gastiert Habjan mit seiner Puppentheaterversion des Qualtinger-Klassikers "Der Herr Karl" im Münchner Residenztheater.

Musiktheaterregie hat der aus Graz stammende Habjan in Wien studiert, als Puppentheatermacher war der Australier Neville Tranter (Stuffed Puppet Theatre) sein wichtigster Lehrmeister. Als Habjan erstmals eine Vorstellung von Tranter sah, war das für ihn eine Offenbarung. "Mein erster Gedanke war: Das ist ja blöd, man sieht doch, wie er spricht und wie er in die Puppe hineinfährt!" Nach ein paar Minuten aber nahm er das gar nicht mehr wahr, und am Ende der Vorstellung hatte er erkannt, wie genial Tranters Technik ist. "Wenn man den Zuschauern etwas vorgaukelt, dann fragen die immer: Wie wird das gemacht? Wo ist der Trick? Bei Neville sieht man alles sofort - und damit hat sich die Sache auch schon erledigt."

Seither weiß Habjan: Dem Publikum nichts vorzumachen, ist im Theater die stärkste Behauptung. Der Zuschauer muss seinen Teil zum Gelingen der Illusion beitragen, was den Effekt nur noch stärker macht. Habjan belegte bei Tranter ein paar Workshops und freundete sich mit ihm an, nächstes Jahr wollen sie zusammen ein Stück machen - über die aus "Sound of Music" bekannte Trapp-Familie.

Mit den Puppen lässt sich der Sadismus im Fall "F. Zawrel" überhaupt erst adäquat darstellen

Seine erste eigene Arbeit, die tiefschwarze Altenheim-Revue "Schlag sie tot", hat Habjan 2008 am kleinen Wiener Schubert-Theater produziert, wo er bald Mitglied der künstlerischen Leitung wurde. Mittlerweile ist Habjan aus dem Schubert-Theater herausgewachsen; an größeren Bühnen spielt er ein paar der alten Stücke immer noch, darunter den "Herrn Karl" und seine bisher erfolgreichste und wahrscheinlich auch beste Arbeit: "F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig". Das dokumentarische Stück behandelt die Leidensgeschichte von Friedrich Zawrel, der als Kind in der berüchtigten Wiener "Euthanasie"-Klinik Am Spiegelgrund interniert war. Als der erwachsene Zawrel in den Siebzigerjahren wegen Diebstahls verhaftet wurde, begegnete er seinem Peiniger vom Spiegelgrund wieder: Heinrich Gross hatte nach dem Krieg als Gerichtsgutachter Karriere gemacht.

Habjan war nicht der Erste, der den Fall Gross/Zawrel auf die Bühne brachte; aber er war der Erste, der ihn als Puppentheater erzählte. Verniedlicht oder verharmlost wird dadurch nichts, im Gegenteil: Wahrscheinlich sind Puppen die einzigen Darsteller, mit denen sich der ganze Sadismus und bittere Zynismus dieser wahren Horrorgeschichte überhaupt adäquat darstellen lassen. Das Stück, das seit der Premiere 2012 schon mehr als 200 Vorstellungen erlebt hat, entstand in enger Zusammenarbeit mit Zawrel, der durch die Arbeit am Theater noch einmal aufblühte. Als er 2015 starb, vermachte er der Puppe sein Gewand, beim Begräbnis hielt Habjan mit der Zawrel-Puppe die Grabrede.

Habjan ist ein schmächtiger, jungenhaft zarter Mann, auf der Bühne aber setzt er enorme Energien frei. Er ist ein begnadeter Spieler und exzellenter Stimmenimitator; die von ihm selbst gestalteten, fratzenhaften Puppen sind erstaunlich ausdrucksstark. Habjans Spektrum ist groß; neben ernsten Stoffen wie "F. Zawrel" oder dem existenzialistischen Camus-Drama "Das Missverständnis" frönt er immer wieder auch seinem Faible für derbe Komik. Im Wiener Rabenhof-Theater etwa entwarf er für eine Adaption von Dirk Stermanns Roman "6 Österreicher unter den ersten 5", in dem der Autor von seinem Leben als "Piefke" in Wien berichtet, ein brutal komisches Bestiarium des Wienerischen. Derzeit läuft dort ein "Kottan ermittelt"-Musical mit Habjan und seinen Puppen.

Habjans Terminkalender ist randvoll. Für die nächste Spielzeit sind unter anderem neue Inszenierungen am Volkstheater in Wien (ein Georg-Kreisler-Abend), im Cuvilliéstheater in München ("Der Streit" von Marivaux) und am Grazer Schauspielhaus ("Böhm" von Paulus Hochgatterer, ein Stück über den NS-belasteten Dirigenten Karl Böhm) verabredet. Am Burgtheater, wo er unter anderem schon eine Elfriede-Jelinek-Puppe für Matthias Hartmanns Inszenierung von "Schatten (Eurydike sagt)" gebaut und gespielt hat, wird er in der Spielzeit 2018/19 wieder etwas machen. Dazu kommen ein halbes Dutzend Stücke, in denen er als Puppenspieler selbst mitspielt und die er zum Teil seit Jahren im Repertoire hat. Weil er sich davon noch nicht trennen mag, nimmt er derzeit nach Möglichkeit nur Regieaufträge an. "Ich bin ja eigentlich Regisseur. Dass ich auf der Bühne stehe, war nur ein Unfall."

Auf Puppentheater möchte sich Habjan nicht festlegen lassen. "Wenn ich etwas mit Puppen mache, dann muss das Stück dazu passen." Eine Nestroy-Posse etwa, findet er, wäre mit Puppen zu harmlos. Umgekehrt kann er sich ein Stück wie "Das Missverständnis" ohne Puppen nicht vorstellen. "Diese Sterbeszenen wären mit Menschen vollkommen lächerlich, glaube ich. Mit den Puppen aber ergeben sich tolle Ebenen: Wenn der Spieler die Hand rauszieht, weiß man sofort: Jetzt ist das Ding tot."

Habjans nächstes Projekt ist Webers "Oberon" in München, sein Debüt als Opernregisseur. Die "romantische Feenoper" variiert ein in der klassischen Komödienliteratur beliebtes Menschenexperiment: Elfenkönig Oberon und seine Frau Titania untersuchen am Beispiel eines jungen Paares, ob der Mensch zur sexuellen Treue befähigt ist. In seiner Inszenierung verlegt Habjan die märchenhafte Handlung in ein Verhaltensforschungslabor der Fünfzigerjahre. "Das ist ein Weg, diese sehr seltsame Handlung auf die Bühne zu bringen", findet Habjan. "Das Zaubermärchen wird in diesem Labor inszeniert, Oberon und Titania sind die Wissenschaftler, und die drei Laborassistenten spielen sämtliche Sprechrollen als Puppen."

Wenn Nikolaus Habjan mit seinen Puppen spielt, werden diese so lebendig, dass er oft gefragt wird, was für ein Verhältnis er zu ihnen eigentlich habe. "Ich spreche nur auf der Bühne mit ihnen", stellt er dann klar. "Wenn ich einmal privat mit ihnen rede, dann muss ich in Therapie."

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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