Porträt:Hi, ich bin Dimi

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Er hält gerne Monologe, und die schreibt er sich selbst: Dimitrij Schaad, geboren 1985 in Kasachstan. (Foto: Regina Schmeken)

Dimitrij Schaad, geboren in Kasachstan, gehört zum multinationalen Ensemble des Berliner Gorki-Theaters - ein Schauspieler, der selbstbewusst von sich und der Welt erzählt. Und der sich selbst Monologe schreibt.

Von Mounia Meiborg

Früher wollte Dimitrij Schaad Geschichtsprofessor werden. Jetzt ist er Schauspieler. Aber vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß. Mit seinen Rollen erzählt er Lebensgeschichten, kleine Bröckchen aus dem großen Klumpen Weltgeschichte. Abend für Abend macht er das auf der Bühne des Berliner Gorki-Theaters: Er ordnet sich in die Welt ein und macht sie für einen Moment verstehbar.

Zum Beispiel in dem Stück "The situation", das die Regisseurin Yael Ronen mit dem Ensemble entwickelt hat. Schaad erzählt darin seine eigene Geschichte. Wie die Sowjetunion zusammenbrach und Kasachstan in Chaos und Gewalt versank. Wie seine Eltern, als die Lage immer schlimmer wurde, nach Deutschland kamen - vorübergehend, wie sie dachten. Er erzählt, wie seine Familie von einem schönen großen Haus in ein Aussiedlerlager zieht. Wie seine Mutter, eine Buchhalterin, Toiletten putzt. Und wie er, der schon mit vier Jahren lesen konnte, plötzlich die Sprache nicht beherrscht.

Er war acht, als seine Familie Kasachstan verließ. Deutsch lernte er vorm Fernseher

Es ist kein Zufall, dass er den Monolog inzwischen auch auf Veranstaltungen zum Thema Migration vorträgt. Die Schwierigkeiten, sich in einem neuen System zurechtzufinden, die Verunsicherung und Kränkung beschreibt er exemplarisch. Die persönliche Geschichte und die politische Dimension verbinden sich zu einer Erzählung, die so traurig wie komisch ist.

Seit zwei Jahren gehört Dimitrij Schaad zum Ensemble des Berliner Maxim-Gorki-Theaters; seit die Intendanten Shermin Langhoff und Jens Hillje angetreten sind, dem postmigrantischen Theater eine große Bühne zu geben. Das Ensemble ist multinational. Schaads Kollegen haben Wurzeln in der Türkei, in Serbien und Israel. Genüsslich werden in vielen Stücken nationale und ethnische, religiöse und sexuelle Zuschreibungen zelebriert und gebrochen.

Dimitrij Schaad kommt von der Probe. Er wirkt ruhiger und ernster als auf der Bühne. Als Erstes fallen die freundlichen Grübchen auf. Er bildet lange, komplizierte Sätze, in denen Wörter wie "verbalisieren" und "extemporieren" vorkommen. Zwischendurch unterbricht er sich: "Laber ich zu viel?"

Geboren wurde Dimitrij Schaad 1985 nahe der damaligen kasachischen Hauptstadt Almaty. Als er acht Jahre alt war, zog die Familie nach Deutschland, in die kleine Stadt Mengen in Baden-Württemberg. Deutsch lernte er vorm Fernseher. Jeden Donnerstag arbeitete er die neue TV Movie durch und zeichnete Filme auf: Woody Allen, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola. 2000 Filme besaß er auf VHS-Kassette.

Schon damals tat er, was er heute noch tut: Schauspieler beobachten. Und zwar ganz genau. "Ich frage mich immer: Warum berührt mich ausgerechnet das? Damit habe ich mein Leben verbracht." Auf Anhieb wurde er an der Theaterakademie August Everding in München angenommen. Da war er, bis auf eine Vorstellung von "Das Sams", noch nie im Theater gewesen.

Ein Jahr war Dimitrij Schaad im Ensemble am Schauspiel Essen, drei Jahre in Bochum. Nach den Vorstellungen schrieb er Notizbücher voll: Was hat nicht funktioniert, warum nicht, was könnte ich anders machen? "Ich glaube nicht besonders an Talent und Begabung", sagt er. "In diesem Beruf sind über 90 Prozent Handwerk." Als extrem perfektionistisch beschreibt er sich, "und ein bisschen kontrollsüchtig". In Bochum wurde er zum Publikumsliebling und gewann Preise. Im vergangenen Jahr wählte ihn die Zeitschrift Theater heute zum "Nachwuchsschauspieler der Jahres".

Es scheint, als verbrüdere er sich auf der Bühne für ein, zwei Stunden mit all den unbekannten Menschen im Publikum. Das liegt vielleicht an der Beiläufigkeit, mit der er spielt. Selbst Hebbel- oder Shakespeare-Texte können bei ihm klingen, als stünde er an der Supermarktkasse. Sein Sprechen und seine Gesten sind oft leicht asynchron. Das gibt seinen Figuren etwas Unbehaustes, Sehnsüchtiges, manchmal auch Unbeholfenes. Und es bewirkt, dass eine kleine Distanz entsteht; der Figur zu sich selbst oder des Schauspielers zur Figur.

Ein bestimmtes Rollenprofil sucht man bei ihm vergebens. Seinem Hamlet in Bochum gab er autistische Züge. In "Der Russe ist einer, der Birken liebt" am Gorki-Theater tritt er als "schwuler Türke Cem" auf, der das Geschehen mit Liedern kommentiert. Und in der Stückentwicklung "Das Kohlhaas-Prinzip" stellt er sich dem Publikum mit den Worten vor: "Hi, ich bin Dimi!" Aus dieser Privatheit spielt er sich an wechselnde Rollen heran; zitiert sie erst ironisch und verleibt sie sich schließlich ein.

Dimitrij Schaad spricht das Publikum oft direkt an; er unterhält, belehrt und beschimpft es. "Wenn ich das Gefühl habe, ich könnte die Zuschauer ein bisschen triezen, mache ich das. Wie man ja auch in freundschaftlichen Beziehungen manchmal sagt, dass jemand ein Arschloch ist. Einfach so, weil man es kann. Weil eine bestimmte Intimität da ist, die das erlaubt."

Legendär sind seine Monologe. In fast jedem Stück am Gorki-Theater hat er einen. In "Die Nibelungen" zieht er eine Linie von seiner Figur Hagen zu heutigen deutschen Überlegenheitsfantasien. In "Woyzeck III" erläutert er zwanzig Minuten lang die Frage, wie der Mensch ein Bewusstsein erlangte. Selten ist man im Theater komplizierten Gedanken so gern gefolgt. Die Texte der Monologe schreibt er selbst, ebenso wie beleidigende Disstracks in bester Hip-Hop-Tradition, die er öfters zum Besten gibt. Regisseur hin oder her: Ein bisschen inszeniert er seine Auftritte wohl selbst.

Jens Hillje, Ko-Intendant des Gorki-Theaters, schätzt diese Eigenständigkeit an Dimitrij Schaad: "Er strebt eine Autorschaft über sein eigenes Spiel an." Ein denkender Schauspieler sei er, wie es nicht viele gebe. Zum ersten Mal hat er ihn bei einer Premiere in Bochum gesehen. Schaad spielte auf volles Risiko. Und stand danach hinter der Bar, um Getränke auszuschenken.

Ein klassischer Handwerker mit der Diskursfreudigkeit und Offenheit eines Performers

Viel ist über die Migrationshintergründe der Gorki-Schauspieler geschrieben worden. Hillje sagt es ganz einfach: "Wir suchen besondere Menschen. Und komplexe Biografien bringen manchmal besondere Menschen hervor." Dimitrij Schaad macht auf der Bühne Witze über sein "gut artikuliertes Deutsch", über kriminelle Kasachen und sowjetische Paranoia. Natürlich will er sich nicht auf seine Herkunft reduzieren lassen. Aber er nutzt klug die Narrenfreiheit, die eine multinationale Lebensgeschichte mit sich bringt. Er verbindet klassisches schauspielerisches Handwerk mit einer Offenheit und Diskursfreude, wie man sie von Performern kennt - "eine Art Schauspieler von morgen", findet Hillje.

Gerade probt er das Stück "In unserem Namen", das am Freitag Premiere hat. Der Regisseur Sebastian Nübling montiert darin Texte von Aischylos und Elfriede Jelinek zu einer Installation zur aktuellen Flüchtlingskrise. Aber Dimitrij Schaad hat Zweifel. "Je mehr ich über das Thema erfahre, desto undarstellbarer wird es für mich. Die Theater brüsten sich ja damit, dass sie jetzt wieder relevant sind, wenn sie von der Flüchtlingsthematik erzählen. Aber wie kann man überhaupt davon erzählen? Dürfen wir das, was diese Menschen erleben, für Theater ausnutzen?" Alles, was ihm szenisch dazu einfällt, kommt ihm klein vor im Vergleich zur Realität.

"Vielleicht wäre es unsere Pflicht, Utopien zu entwerfen. Andererseits: Wenn Realpolitiker und Philosophen keine Antworten finden, gelingt es uns vielleicht auch nicht." Dimitrij Schaad, der Geschichtsarbeiter und Schauspieldenker, sieht ausnahmsweise ratlos aus.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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