Pop:Von der Liebe verweht

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"Florence and the Machine" in der Münchner Olympiahalle

Von Theresa Hein, München

Alles an dieser Frau weht. Florence Welch huscht barfuß über die Bühne der Olympiahalle, dreht sich mit hoch erhobenen Armen im Kreis, wirft den Kopf mit der Kupfermähne zurück wie ein wildes Tier. Dabei weht ihr seidiges Gewand, sie fasst sich verträumt ins Gesicht, stellt sich auf die Zehenspitzen und dreht sich wieder im Kreis wie eine zu groß geratene Balletttänzerin. Alles an dieser Frau möchte grazil sein, nur ihr Gesang ist es nicht.

Die Stimme, die mit dem Cover des Achtzigerjahre-Songs "You Got The Love" 2009 um die Welt ging, hat so gar nichts von sinnlicher Entrücktheit, sondern ist irdisch und technisch, hier und jetzt. Wenn Florence Welch singt, reißt sie den Mund auf, zeigt ihre Zähne, die alles zerbeißen, was ihr den Spaß verderben will. Florence Welch ist, das wird auch an diesem Abend wieder spürbar, nicht die Frontsängerin einer Pop-Band, sondern eines kleinen, britischen Orchesters. Und dieses Orchester macht Musik, die die Olympiahalle, die für so viele Bands ein zu großer Raum ist, ganz klein werden lässt. Der Titelsong ihres Albums "How Big, how Blue, how Beautiful" entlarvt drei der Sängerinnen ganz nebenbei als Bläserensemble, dazwischen tönen Harfenklänge. Bei der Leadsingle "What Kind Of Man" wird das Publikum zurück auf die Erde geholt, drückt das Schlagzeug auf die Brustkörbe, in den Gehörgängen hallen die Chöre der Background-Sängerinnen. Isabella Summers, eine geniale Songwriterin und die linke Gehirnhälfte von Florence and the Machine, variiert mit ihren Keyboard-Sounds die Studioversionen. Und über allem schwebt Welch, die ihre Stimme wie eine Maschine zu nutzen weiß, der sie alles abverlangt.

Der Hit "Dog Days Are Over", auch vom Debütalbum, handelt von einer Frau, die das Glück in den Rücken trifft wie eine Pistolenkugel. Welch singt dieses Lied am Dienstagabend über sich selbst. Eine phantastische Band im Rücken, das ist ihre Pistolenkugel und ihr Glück. Dabei spricht sie wie immer zu viel von Liebe und Dankbarkeit, während sie die Arme ausbreitet wie ein Flamenco tanzender Adler.

Bei "Third Eye" bittet die Sängerin ihre Zuhörer, die Smartphones wegzustecken und den Moment zu genießen. Die Idee ist gut, aber das Publikum mag nicht mitmachen. Denn so wenig, wie sich Florence Welch von ihrer Ich-liebe-die-ganze-Welt-Rhetorik trennen kann, können sich einige Hörer von ihrem Handy verabschieden. "I'm the same, I'm the same, I'm trying to change", wie die Sängerin singt: Wir sind die gleichen wie immer, aber wir versuchen, uns zu bessern. Nur, wie es in der neuen Single "Delilah" heißt, vielleicht noch nicht heute Abend. Dann lieber noch ein bisschen wehen.

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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