Pop:Im Strahl der Wasserwerfer

Lesezeit: 3 min

Die politische Haltung beschränkt sich bei den "Irie Révoltés" nicht nur auf die Musik - ihr neues Album stellt die Band in der Muffathalle vor

Von Christian Jooss-Bernau

In "Ruhe vor dem Sturm" bricht die Wut aus, und sie rennen in Kapuzenpullis durch die Stadt. "Stopper" heißt eine andere ihrer neuen deutsch-französischen Nummern mit einem vorwärtstobenden Drumsound wie programmiert: "Das Wasser schießt mir meine Zähne raus / bei dem ganzen Gas hier gehen uns bald die Tränen aus" - eine Band die Irie Révoltés heißt, steht auch textlich im Strahl der Wasserwerfer. Im Jahr 2000 wurde die Gruppe in Heidelberg gegründet. Sozialkritik, Ska, Punk, Reggae. Damals konnte man sich ziemlich sicher sein: Die Revolution ist links. Sound und Style formten eine eindeutig gefühlte politische Szenehaltung.

Mal Élevé und Carlito sind Brüder und die Außenminister der Irie Révoltés. Schon die Eltern waren politisch aktiv. Der Vater kam aus Frankreich, die Großmutter war eine Manusch, eine Romagruppe, eine Tante kam aus Guadeloupe. Male Éléve und Carlito identifizierten sich mit der Punkszene und kreisten um das autonome Zentrum in Heidelberg. Ihre Familie war zweisprachig. So ist auch ihre Musik. Die Wahl der Sprache hat Einfluss auf den Inhalt. Das Französische sei musikalischer, das Deutsche eigne sich für die tieferen Sachen. Und was ist mit der gängigen Behauptung, die Franzosen hätten eine Protestkultur, die den Rest Europas weit hinter sich lasse? "Die Leute gehen schon eher auf die Straße, wenn ihnen was nicht passt. Aber man kann nicht sagen, dass dadurch irgend etwas besser laufen würde", sagt Carlito. Der Front National hat erschreckende Umfragewerte, und auf der Straße protestiert man eben auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe.

"Alle Fremden sollen endlich verschwinden, und gleichzeitig fangen sie an, die ersten Mollis zu zünden", reimen die Irie Révoltés in "Jetzt ist Schluss". 2015 ist es nicht mehr so einfach, wie es einmal war: Die Protestenergie der Masse flottiert heute zwischen linken Globalisierungskritikern, Wutbürgern, Rechtsradikalen. Die Szene um die NPD habe linke Protestkultur kopiert, ihr Outfit und ihren Lifestyle den Linken angeglichen, findet Mal Élevé. Der Nazi-Hipster drängt in die Mitte der Gesellschaft. In Zeiten brennender Flüchtlingsheime sieht Carlito hier ein Potenzial, das die Gunst der Stunde nutzt, um sich jetzt offen zu zeigen.

Irie Révoltés sind eine politisierte Gruppe - das bleibt nicht auf die Musik beschränkt. Sie unterstützen die "Make Some Noise"-Kampagne, die sich mit Infoveranstaltungen, Workshops und Ständen auf Festivals gegen Homophobie und Sexismus wendet. Ein Gedankengut, das eben nicht immer außerhalb der Szenen gärt, sondern im Reggae vor ein paar Jahren stellenweise recht offen zutage trat. Veränderung muss durch die Szene passieren und nicht von außen kommen. Das nämlich lässt sich abtun, finden die Brüder. Der Einsatz für die bessere Welt, er kann ganz praktisch sein, wie Mal Élevé mit der von ihm mitgegründeten Aktion "Rollis für Afrika" zeigt. Zeitweise bekamen Besucher, die einen gebrauchten Rollstuhl abgaben, freien Eintritt zu ihren Konzerten. Letztes Jahr war die ganze Band das erste Mal im Senegal. Sie haben die Rollstühle begleitet, verteilt und zwei Konzerte geben. Mal Élevé macht das regelmäßig. Die Rollis sollen nicht am Hafen stehen bleiben, sondern zu den Personen kommen, die sie brauchen.

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Die Irie Révoltés haben als musikalischer Freundeskreis begonnen und ihre Arbeit immer wieder den Lebensentwürfen der Bandmitglieder angepasst. Für Musiker, die nur partiell proben konnten, organisierte man Ersatz. Berlin, Hamburg, München, Raum Heidelberg, Allgäu - die Band ist heute über die Republik verteilt. So ist das, wenn man aus der Schulzeit wächst und erwachsen wird. Heute machen sie Skype-Konferenzen und treffen sich im Schnitt einmal die Woche. Einen Proberaum haben sie tatsächlich nicht, sie proben, wie Carlito sagt, saisonal, machen schon lange vor der Festivalsaison ihr Set fertig, um dann über den Sommer nicht mehr lange feilen zu müssen. Die Produktion für die aktuelle Platte haben sie in vier Monaten "recht flott", wie sie sagen, abgeschlossen. Mit dem Gitarristen, der auch Produzent ist, entwickelten die Brüder ein festes Sounddesign, machten die Vorproduktionen am Computer, mit Samples und Beat-Ideen.

"Wir mussten Systeme entwickeln über die Jahre, sonst würde das nicht funktionieren," sagt Carlito. Es gibt Firmen, die tun sich mit situativen Veränderungen schwerer. Als politische Band aber leben die Irie Révoltés mit den Verhältnissen. 2000, als die Globalisierung Fahrt aufnahm war es schwer, mit einem Protestsong in die komplex-unübersichtliche Entwicklung einzugreifen. Durch die aktuellen Eskalationen ist es leichter, klar Position zu beziehen. Da kann ein Song angreifen, findet Carlito: "Musik bewegt, Musik erzeugt Emotionen. Das ist die Stärke von einem Song, der über das Gefühl einen Trigger setzen kann."

Irie Révoltés, Sonntag, 11. Oktober, 20 Uhr, Muffathalle

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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