Pop:Glamour und Intelligenz

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Es ist die mutigste Tollwood-Verpflichtung in diesem Sommer: Am Donnerstag spielt Róisín Murphy ihren schlau-gebauten Art-Pop in der Musikarena

Von Michael Zirnstein

Mit ihren Shows haut Róisín Murphy die Leute um - und manchmal auch sich selbst. Vor ein paar Jahren in Moskau zum Beispiel schwang sie auf der Bühne ihren Kopf derart heftig zu den Beats, dass sie die Orientierung verlor und die Stirn auf eine Stuhlkante schlug. K.O. in der ersten Runde. Unter Vollnarkose musste die Irin operiert werden. Bald stand sie wieder auf der Bühne.

Róisín, was Rouschien ausgesprochen wird und im Gälischen Röschen bedeutet, liebt das Touren. Wenn's mal läuft, sei es das magischste Gefühl der Welt, sagt sie. Selbst an diesem Morgen, den die 42-Jährige verschlafen hat und den Reporter aus München am Telefon um Aufschub für das Interview bittet: "Ich bin etwas müde. Das Reisen im Sommer schlaucht, wir waren gerade in Portugal, dann in Litauen, dann in Deutschland." Die Festival-Veranstalter reißen sich wieder um Murphy, obwohl ihr Name nur wirklichen Pop-Kennern geläufig ist. Ihr Konzert bei Tollwood ist eine der mutigsten Verpflichtungen dieses Sommers.

Dabei war Róisín Murphy Ende der Neunziger schon einmal Mainstream und auf halbem Weg, eine Art Madonna des Undergrounds zu werden - aber als Top-Star erwies sie sich zu eigen und sperrig. Es begann 1994 auf einer Party in Sheffield, als ein selbstbewusstes, obschon noch nicht als Sängerin in Erscheinung getretenes Fräulein den Produzenten und Musiker Mark Brydon stoppte und fragte: "Gefällt Dir mein enger Pulli?" Der Mann meinte, ja, das sehe nach einer prima Nummer aus. Kurz darauf waren sie ein Paar, nannten sich als Elektro-Duo Moloko und tauften ihr Debütalbum: "Do You Like My Tight Sweater?" Im Sog der schlurfenden Trip-Hop-Welle um Massive Attack und Portishead zog es Moloko nach oben, ihre Single "Fun For Me" schaffte es auf den Soundtrack des Films Batman & Robin. Die Dancefloors der Welt eroberten sie allerdings erst 1999, ein Jahr nach ihrem zweiten Album mit Hilfe eines Boris-Dlugosch-Remixes ihres simpel-genialen Stückes "Sing It Back". Selten groovte Pop verführerischer - ein Hit für die Ü-30-Ewigkeit.

So einfach kann man Moloko aber nicht erklären. Eine Backstage-Begegnung beschreibt am besten, welche krasse Mischung da zusammenkam. Murphy erzählte einmal die Anekdote, wie sich "so ein Typ von Kraftwerk" kurz vor ihrem Auftritt in die Garderobe schlich, um zu quatschen - die beiden waren "fix und fertig". Es war wohl Karl Bartos. Nach der Show ging die Tür auf. Bootsy Collins, der gerade mit dem Moloko-Kumpel Mousse T. arbeitete, kam herein. Er brüllte nur anerkennend "Yeah!" Murphy und Brydon antworteten platt mit: "Verdammte Hölle!" Sie waren ihren beiden Extremen begegnet: dem kühl-schönen Minimalismus und dem schwül-derben Funk. Die private Anziehungskraft erlosch, aber professionell stemmte das Duo noch das hochgelobte vierte Album "Statues", das sie in exzentrischen Shows in den größten Hallen präsentierten.

Nach der endgültigen Trennung startete Róisín Murphy das Projekt Selbstfindung. "I'm the boss now", stellte sie fest. Aber würden ihr ohne musikalischen Mentor Songs gelingen? Dafür suchte sie sich einen neuen Produzenten und fand ihn 2004 für ihr erstes Solo-Wunderwerk "Ruby Blue" in dem Frickler-Genie Matthew Herbert. Nach "Overpowered" und einem Gucci-Reklameauftritt 2006 zog sie sich zurück, was unter anderem daran lag, dass sie zwei Kinder bekam. "Der andere Grund war, dass ich nicht den richtigen musikalischen Partner fand", erklärt sie die lange Pause. Mit ihrem Mailänder Lebensgefährten Sebastiano Properzi nahm sie zwischendurch das Mini-Album "Mi Senti" voller italienischer Stücke auf. Dabei half ihnen Murphys treuer Bühnen-Multiinstrumentalist Eddie Stevens. "Das hat sich so gut angefühlt, dass ich gesagt habe: Es ist wohl an der Zeit, mit Eddie eine Platte zu machen." Die alten Weggefährten verstanden sich prima, der Titel des ersten Murphy-Albums nach acht Jahren entsprang allerdings einem Missverständnis: "Hairless Toys" (haarloses Spielzeug). Sie hatte Stevens bei einem Stück "Careless Voice" (achtlose Stimme) zugeraunt.

Róisín Murphy hat einen sehr eigenen Humor - was eher selten ist in der modernen Pop-Musik. "In allem sollte ein Witz stecken: In Musik, Gemälden und Filmen", sagt die Sängerin, die auch malt und erstmals in zwei eigenen Videos Regie geführt hat ("Das ist uns billiger gekommen.") "Gone Fishing" ist auch so ein Gag: Es könnte ein Gruß sein, dass sie eben mal weg war acht Jahre lang, der Titel habe aber mit dem Stück "rein gar nichts zu tun", sagt sie: Das sei ihre Hommage an die schwulen und schwarzen Ursprünge des House in der New Yorker Ballroom-Szene und an den Dokumentarfilm "Paris is Burning". "Wir haben eine Musical-Version daraus gemacht", sagt sie, auch Jazz und besoffenen Irish-Blues verbaute sie in dem Album, das nur acht Stücke enthält: "Wir hatten 35, aber dann dachte ich mir: Das ist einfach zu viel Róisín." Dann ist da dieser zehnminütig verschachtelte, doch packende Geniestreich "Exploitation", der an Thom "Radiohead" Yorkes Analog-Groove-Projekt Atoms for Peace erinnert. Man könnte aus Zeilen wie "Who is exploiting who?" die große Kritik am sich gegenseitig ausbeutenden Kunstbetrieb heraushören. "Ja, kann man", sagt Murphy, "da stecken größere Gedanken drin, aber die möchte ich nicht ausführen, sonst fliegt einem alles davon, und die Leute können sich nicht damit verbinden. Für mich ist das einfach ein ironisches Stück über Sex - körperlich und intellektuell."

"Glamour hängt von Intelligenz ab", sagt Murphy. Insofern glänzen ihre Shows mit IQ. Und sind kaum zu beschreiben. "Ich performe, eben, weil ich das nicht in Worte fassen kann." Man sieht sie derzeit in Bestform, zwischen Avantgarde-Modenschau und Cabaret zu minimalistischen, sich in den Tanzwahn steigernden Bass-Skulpturen. Man sieht sie, wie sie greisenartig herumbuckelt mit einer Karnevalsmaske, aus deren Mund ein Haarzopf baumelt: "This is simulation", singt sie dazu und fächelt sich nach einem lüsternen Gitarre-Bass-Intermezzo mit einem Hut Luft zu. Am einen Abend zieht sie sich kaum um, am anderen nach jeder Nummer. Ihre Stücke seien kürz- und verlängerbar, die Setlist ändere sich täglich. Nur einen Song hat sie lange nicht mehr gespielt: "Sing It Back". "Das kostet uns zu viele Tantiemen", sagt sie, "nein, ich scherze nur. Ich mag einfach nicht in der Vergangenheit gefangen sein. Ich mag es, das Ganze voranzutreiben."

Róisín Murphy , Do., 9. Juli, 19.30 Uhr, Tollwood, Musikarena, 21 83 73 00

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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