Pop:Fehler und Versuche

Lesezeit: 3 min

Die Berliner Band "Culcha Candela" ist nach einer Pause in reduzierter Version zurück und will mit dem neuen Album "Candelistan" Party und Revolution zusammenbringen

Von Christian Jooss-Bernau

Es gibt da dieses neue Land: Candelistan heißt es und liegt dort, wo die wilden Partytiere wohnen. Hier regieren Culcha Candela, und um die frohe Botschaft zu verbreiten, sind sie mit gleichnamigem Album auf gleichnamiger Tour. "Welcome to Candelistan, der Eintritt kostet nur'n High five", singen sie im ersten Song. Culcha Candela, das sind die, die ihren Dancefloor-Pop mit Hip-Hop, Dancehall und ein paar Prisen Reggae-Salsa-Irgendwas so aufmischten, dass Viva-MTV-Bundesvision-Song-Contests so zwangsläufig folgten wie das Amen in der Kirche. Das neue Album beginnt mit partytauglichen Streichern und einem pornösen Saxofon. Zum Interview tritt die ganze Band an. Um zwei Musiker verschlankt passen sie in der neuen Viererbesetzung fast schon auf eine Couch. Die Entscheidungsfindung gehe jetzt schneller, sagen sie. Denn hier hat jeder gleichberechtigtes Mitspracherecht.

Eine zehnjährige Bandkarriere liegt hinter ihnen. Und eine dreijährige Pause. "Don't call it a comeback" steht im Bandinfo. Es ist eher ein Reset, findet Johnny mit den Dreadlocks: "Wir haben auf Stop gedrückt, neu geladen und noch mal hochgefahren. Dabei sind ein paar Daten verloren gegangen." Alle lachen. "Jeder muss jetzt mehr arbeiten" - so sieht das Mateo, dessen Gesicht Freunde des Privatfernsehens kennen. Es klingt ein wenig wie die Zustandsbeschreibung eines Unternehmens, nachdem ein Wirtschaftsprüfer durchgefegt hat. "Weniger machen müssen ist oft gar nicht so förderlich, für's Talent", gibt Johnny zu bedenken.

An ihr neues Album haben sie eineinhalb Jahre hingearbeitet, über sechzig Songskizzen zusammengetragen, um dann mit dreißig ins Studio zu gehen und aus denen ein Album zu filtern. Klingt wie eine Band, die sich schon einmal die Finger verbrannt hat. Ihre beste Zeit, die hatten sie 2007 mit ihrem selbstbetitelten dritten Album. "Hamma!" hieß die ausgekoppelte Single: Cocktails, Clubs und Superweiber. Wenn alle sich mal locker machen, klappt das auch mit der Globalisierung, dass hatten Culcha Candela als ihre Botschaft ausgemacht. Und erfolgsfördernd war sicher, dass sie sich nicht scheuten, das für schlichtere Gemüter soweit herunterzukochen, bis nette tanzende Hintern übrig blieben.

Das sieht heute nicht viel anders aus: "Partytime, schöne Frauen und die Nächte hören nie auf" singen sie im Titelsong. Candelistan ist Utopia aus der Clubperspektive. Be nice, sagen Culcha Candela im Interview, das sei die einzige Maxime. Weniger nice wurde von vielen Kritikern "Flätrate" aufgenommen, ihr Album von 2011. "Wildes Ding" beispielsweise war eine homogene Kombination von piefig sexistischem Text und Billig-Disco. Verdient wurde die Nummer Titelsong des Dschungelcamps 2012. "Man darf halt nicht unterschätzen, dass wir zu den Zeiten, wo wir das gemacht haben, alles geil fanden, was wir gemacht haben", sagt Mateo, der dann auch ruckzuck im Privatfernsehen landete, sich für "Sing, wenn du kannst" genauso hergab, wie für "Popstars" oder "Deutschland sucht den Superstar".

Die Mehrheit der Fans, glaubt Mateo, sage auch heute: "Wir finden die geil, egal, was die machen." Aber es gibt auch die Wechselwähler, und für die hat er die Botschaft: "Wir stehen auch zu den Fehlern. Und das geben wir in ,Scheiße aber happy' zu". Sie haben diesen neuen Song kostenlos zum Download freigegeben. Die Bandgeschichte wird darin neu erzählt: "Für Pop zu schlechte Sänger, für Rap zu schlechte Rapper. Dann halt Ethno-Boyband. Verkauft sich eh viel besser. Bunt, penetrant, gut gelaunt - wie die Teletubbies." Mateo ist im zugehörigen Video der Kleingartenspießer mit Cocktail, Johnny ein Hobbygärtner in Gummistiefeln, Don Cali ein cooler Dorfproll und Chino ein Nerd im weißen Hemd. Es ist ein starkes Stück. Alle Feindbilder inkorporiert die Band, impft sich mit der Ablehnung, um resistent zu werden gegen Kritik.

"Man muss auf einem Seil balancieren zwischen Kommerzialität und Kunst oder Anspruch", findet Johnny. Die verbliebenen Vier sind sich einig, dass man es nicht allen recht machen kann und eben nur versuchen sollte, es sich selber recht zu machen. Bei all dem Bass und Beat ist schnell überhört, dass Culcha Candela, die mit Uganda, Kolumbien, Polen und Korea immer noch vier Länder in einer Berliner Band vereinen, für die multinationale Gesellschaft stehen, die Deutschlands Zukunft sein wird. Oft werden sie gefragt, wie kulturelle Unterschiede in ihre Musik einfließen. "Wir haben uns die Frage nie so oft gestellt, wie andere Leute sie uns gestellt haben", sagt Mateo. Sie machen einfach.

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"Zeiten ändern sich" ist die letzte Nummer auf Candelistan. Ursprünglich hat sie sich an Tracy Chapmans "Talkin' bout a Revolution" angelehnt. Die Revolution, von der sie hier singen, sie soll im Kleinen beginnen, in den Köpfen der Menschen. "Taten zählen mehr als Worte", findet Johnny. "Africa Rise" heißt der Verein, dessen Gründung er angestoßen hat und der sich vorrangig auf Uganda, die Heimat von Johnnys Vater konzentriert und dort beispielsweise eine Berufsschule in dem Dorf Buwere unterstützt. "Es gibt genug für alle, man muss es nur umverteilen," sagt Johnny. Und das ist dann doch mehr als nur eine Partyidee.

Culcha Candela, Dienstag, 3. November, 20 Uhr, Tonhalle

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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