Pop:Der Typ aus dem Radio

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Seine Eltern hätten lieber gesehen, er wäre Arzt oder Anwalt geworden - Jonathan Jeremia wurde dann doch Musiker und ist mit seinem dritten Album auf Tour

Von Michael Zirnstein

Beim Thema Traumberuf kommt Jonathan Jeremiah erst mal nicht auf den eigenen. Da fällt dem Londoner Musiker zunächst Christian Kaufmann aus München ein. Der Fotograf hat ihn in Nürnberg porträtiert für das Titelblatt von Akustik Gitarre. Die Zeitschrift widmete dem 34-Jährigen mehrere Seiten: "Lerne spielen wie Jonathan Jeremiah." Das ist ja schon ein Ritterschlag für einen Gitarristen. Aber sein fotografierender Freund habe es noch weiter gebracht, findet er: "Er fliegt im Privatjet dem FC Bayern hinterher und schaut sich die Spiele an. Wenn du den besten Job der Welt suchst: Er hat ihn!" Beim Champions-League-Finale 2013 in London zwischen München und Dortmund rief Kaufmann beim Arsenal-Fan Jeremiah an und lud ihn ein: Er hänge hier gerade mit den Bayern ab, ob er nicht auch kommen wolle. Und wie er wollte - aber er konnte nicht, weil er fast um die Ecke im Studio gerade Songs aufnahm. Das Musikerdasein ist bisweilen ein hartes.

Die Erfahrung machte Jeremiah gleich bei seinem Debütalbum "A Solitary Man", das 2011 herauskam. Sieben Jahre lang hatte er daran gewerkelt - was auch an den eigenen Ansprüchen lag. Er wollte nicht bloß eine Singer-Songwriter-Platte, die um seine wohltönend tiefe Stimme kreist, mit der er sich schon als 14-Jähriger wie ein alter, rauchender Crooner angehört hatte. Er wollte seine Lieder mit dem idealen Klangkörper zum Leben erwecken, so wie George Martin dereinst mit den Beatles. Also ging er arbeiten. Als Sicherheitsmann im Wembley-Stadion sammelte er nebenbei wertvolle Show-Tipps und Erfahrungen bei Konzerten etwa von Neil Diamond oder Barry Manilow. Wichtiger aber war: Hatte er eine Nachtschicht durchgemacht, konnte er sich am nächsten Tag wieder einen Streicher oder Kontrabassisten leisten. Am Ende leitete der Neuling das 24-köpfige Heritage Orchestra aus den Niederlanden. Von einem Ausflug nach Amerika brachte er außerdem fünf Trommel-Tracks von der The Roots-Legende Questlove mit und Material von Bernard Butler und James Browns Band The JBs. Alles hart erarbeitet - und klingt doch vollendet leicht.

Jeremiah bezeichnet sich gern als Handwerker. Es liegt in der Familie. Seine Schwester ist die einzige Frau in England, die Kirchenfenster restauriert, unter anderem am Kölner Dom. Sein Vater, ein Inder, arbeitete bei der Eisenbahn in Kalkutta, bevor er als starker Mann zum Zirkus ging. Die Eltern (die Mutter war eine katholische Irin aus einer Familie mit 16 Kindern) hätten lieber einen Arzt oder Anwalt aus ihm gemacht, bloß keinen Sänger. "Ich habe mich dann zurückgezogen und war sehr geheimniskrämerisch mit meinem Musiker-Job . Erst als ich einen Plattenvertrag hatte, bin ich damit herausgerückt. Und dann war das auch okay: Ach, du bist der Typ aus dem Radio." Und seit den Hits "Happiness" und "Heart of Stone" kann er auch gut davon leben.

Obwohl das Verhältnis zu seinen Eltern vielleicht nicht das innigste war, haben sie Jeremiahs drittes Album "Oh, Desire" doch stark geprägt. Es ist zum Beispiel so aufgebaut, wie der Vater dem Sohn indisches Freiluftkino gezeigt hat: Mit einem Bollywood-Filmmusikartigen Intro, einem Zwischenspiel zur Pause und einem Outro. Wenn Jeremiah - auch ein Hüne - seine Stimme hört, hört er eher seinen Vater. In der Stadion-Folk-Nummer "Wild Fire" gedenkt er mit offenem Herzen seiner gestorbenen Mutter, wobei er sich erst unwohl fühlte. "Aber es gibt da draußen genug Wischiwaschi-Songs, die nichts bedeuten." Das Bedeutende frühlingsleicht klingen zu lassen, ist seine Kunst , von der 007-Ballade "Rosario" bis zum Mantra-Soul "Phoenix Ava". Er hat das Album übrigens unter anderem in George Martins heiligen Hallen der Abbey Road Studios aufgenommen. Das Wichtigste für ihn dort waren die Techniker von damals: "Denn die haben diese wunderbaren Klangmaschinen erfunden. Das sind wahre Künstler."

Jonathan Jeremiah , Samstag, 16. Mai, 21.30 Uhr, Strom, Lindwurmstr. 88, 21 83 73 00

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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