Pop:Beats am Baggersee

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Ein Traum von einem Festival: Das Elektro-Open-Air "Utopia Island"

Von Michael Zirnstein, Moosburg

Den idealen See zum Festival - gibt es den? Der Dutzendteich beim Nürnberger "Rock im Park" ist eine Brühe, am Olympiasee beim Münchner "Rockavaria" ist Baden verboten, der Echinger Erholungsweiher liegt ein Stück abseits der "Brass Wiesn", der Chiemsee noch weiter weg vom "Summer"-Open-Air. Nur "Utopia Island" hat nah am klaren Wasser gebaut. Gut, man kann sagen: Das ist ein Baggersee wie viele, mit Asphaltmischwerk und Blick auf die Kies-Industrieanlage. Aber vom Hubschrauber aus bestaunt - Rundflüge werden angeboten -, wird das sandgesäumte Türkis zur Karibik, das Knattern des Rotors zum Beat. Man muss auch nicht am nahen Flughafen in die Touristenklasse nach Ibiza steigen. Denn steht, planscht oder paddelt man im Moosburger Aquapark, und das tun die meisten Gäste bis es dämmert, wird "Utopia Island" zur Playa d'en Bossa. Wie von den Balearen- Beachclubs Ants oder Space wehen Soundschwaden durch die Sommerluft, wenn DJ André Dancekowski beim Sperrholz-Piratenschiff an der Seaside-Stage auflegt.

Ein gutes Open-Air hat nicht nur einen schönen Ort, es verwandelt ihn zudem in ein Traumbild. Insofern ist das nach dem sozial-schwärmerischen Roman "Utopia" von Thomas Morus benannte "Utopia Island" mit Riesenrad, Himmelbetten, der wie aus Treibgut zusammengezimmerten Riesen-Hollywood-Schaukel und seinem Techno-Iglu wie ein Traum von einem Festival. Die Arbeit, die aus der Fußballerparty des Vereins für Rasenspiele Haag binnen 13 Jahren ein mächtiges Elektro-Open-Air mit 70 Acts gemacht hat, sehen die 12 000 Gäste nicht. Sollen sie auch nicht. Die Künstler freilich bekommen das mit. So auch jene vier Münchner, die einst ihren Schülerband-Namen Blind Freddy ablegten, um hier vor einem Jahr als Kytes eine Profikarriere zu starten.

Shows für große Bühnen: Die Elektropopper "Claire" mit der Sängerin Josie-Claire Bürkle waren einer von mehreren Acts aus München. (Foto: Marco Einfeldt)

Inzwischen haben sie den Song "On The Run" in einer Handy-Werbung untergebracht, eine Major-Plattenfirma klargemacht und 36 Festivals gespielt. Gleich nach dem Utopia-Auftritt müssen sie weiter zum "Dockville" nach Hamburg. Aber auf ihr Heimspiel sind sie fast ein bisschen stolz: "Die machen das super professionell", sagt der Bassist Thomas Sedlacek, "Backstage hat jede Band ihre eigenes Zimmer. Unser Techniker ist ausgeflippt, es ist die beste Technik da. Und die Hauptbühne ist heuer fast doppelt so groß, wohl auch weil Deichkind kommen. Das sind schon Headliner von anderem Kaliber." 2015 mit den Szenehelden wie Kwabs oder Mø sei das Utopia "irgendwie indier" gewesen.

Kytes sind Münchner geblieben, wollen es sich aber nicht anhören lassen: "Es wäre mega, wenn mal eine deutsche Band international etwas reißt, wie Phoenix, Daft Punk oder Woodkid aus Frankreich." Sie meinen freilich sich. Die Offbeat-Kracher von Kytes klingen nach den legendären New Yorker Locker-Rockern Sublime, sie können "raven", das heißt, sie können die Menge in Ekstase grooven, und mit dem verstrubbelten Michael Spieler haben sie eine Art soulig röhrenden Captain Jack Sparrow als Frontmann. Auf der Insel der Utopisten trifft sich eine Generation lokaler Künstler, die sich nicht verweigert, sondern rauskommen will und es wird, zumindest aus München. Die Elektropopper Claire oder der Elektro-Hipster Occupanther, der jüngst in der New Yorker Szene punktete. Auch die Unterföhringer Selfmade-Popstars Cosby sind wieder ein Stück gewachsen. Sie haben ihren europaweiten Werbe-Deal mit einer Parfüm-Firma ins dritte Jahr verlängert, "Germanys Next Top Model" nutzt ihre jugendliche Eleganz, bald auch ein Mundwasser, aber vor allem haben sie durch viele Festivalauftritte Souveränität auf der Bühne gewonnen: Pop in Perfektion, Elektro-Schranz, hitziger Rap, euphorisierender Klingklang, knackiger Drive und das Showtalent von Vorturnerin und Sängerin Marie Kobylka bringen die Menge in Bikini und Badehose schon freitagnachmittags zum Tanzen.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Feiern, Musik,...

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(Foto: Marco Einfeldt)

...und campen, das alles gehört zu Utopia Island.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Leider auch der Regen.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Aus einer anderen Zeit ist Angelina mit ihren Rittern eingeschwebt.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Apropos schweben.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Helena Tinter mit dem Blumenkranz feiert ihren Junggeselleninabschied.

All diese Münchner liefern Shows für große Bühnen, wo Frittenbude aus dem benachbarten Geißenhausen, inzwischen in Berlin zu Hause, schon länger triumphieren. Auch die Anarcho-Elektropunks sind von den Veranstaltern gut gewählt, weil sie dem "Love. Peace. Happyness"-Hedonismus auch mal den Stinkefinger und politische Härte entgegenhalten. Dazu der deutsche Techno-Gigant Kalkbrenner, ein Deichkind-Dada-Theater wie vom anderen Stern, internationale Gäste wie die Londoner Drum'n'Base-Aufsteiger Rudimental oder French-House-Premier Martin Solveig (der das Sechs-Master-Zelt zum Bersten brachte). Kytes bringen es in einer Ansage auf den Punkt: "Alles was wir brauchen. Plus See."

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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