Pop:Aufstehen und niederknutschen

Lesezeit: 2 min

Das "Lunsentrio" um den Teilzeitmünchner und "Franz Ferdinand"-Gitarristen Nick McCarthy lässt seinen Albernheiten freien Lauf: Die neue Platte ist eine dadaistische Gaudi

Von Michael Zirnstein

Niemand weiß, wo das Wirtshaus Der Goldene Hahn steht, aber die besungene Szene ist bekannt: Frau im T-Shirt, Typ an der Bar - alles klar. In den Reimen von Hank Schmidt in der Beek: "Amor schießt mich nieder, mit Durchschlagkaliber, ja Bumm Bumm Bumm Bumm, der schießt nicht mit Pfeilen, wie soll das verheilen?" Jedenfalls steht für den mit den Waffen von Heckler & Koch am Herzen Verwundeten die Welt still: "Im Goldenen Hahn ist für mich nichts mehr / wie es gerade eben noch wa-ha-ha-har / statt Kneipenfrieden spür ich nur Bumm Bumm Bumm Bumm."

Jamaika gibt den Takt vor: In der offenherzigen, bunten, tanzlustigen Reggae-Szene von London fühlen sich die Herzensbayern Sebastian Kellig, Hank Schmidt in der Beek und Nick McCarthy alias Das Lunsentrio besonders zu Hause. (Foto: Seayou Entertainment)

Die Vertrautheit entsteht nicht allein durch das Liebesattentat, sondern vor allem durch die unterlegte Musik: "Felicita" von Al Bano & Romina Power - Italopop der synthie-seligsten Sorte. "Klar ist das ultra-chessy", sagt Nick McCarthy, aber er und seine Mitmusiker lieben diesen Hit schon ewig, "seit unsere Mamas das angehört haben in ihren Mercedessen".

Mit Hank Schmidt in der Beek und Sebastian Kellig steuert der Teilzeit-Münchner McCarthy im Lunsentrio durch andere Pop-Gefilde als mit seiner Welt-Erfolgsband Franz Ferdinand, die er im übrigen nicht ganz, sondern nur für eine Pause verlassen habe, wie er sagt. Das Lunsentrio ist seit dem Auftritt 2011 für einen Performance-Abend seiner Schwester Anna sein Herzens- und Spaßprojekt. Das kommt dabei heraus, wenn drei musikbesessene Kumpels ohne finanzielle Absichten ihren Vorlieben und Albernheiten freien Lauf lassen. Da findet sich auf dem Album "Aufstehn" (Problembär Records) dann vieles, was die drei in den vergangenen Jahren so alles beschäftigt hat (die Veröffentlichung hat sich etwas hingezogen, unter anderem weil McCarthy in seinem Londoner Studio viel produziert hat, etwa auch für die Songwriterin KT Tunstall): Viel Offbeat mit Ska, Reggae und Dub ist darauf, das sei in London gerade die bunteste, offenste Szene, und sie hätten eben in der Jugend gerne Ska-Combos wie Bluekilla gehört: "Da ist beste Tanzmusik für eine linke Szene." Man bewege sich mit der Platte auf den Spuren von Randale-Kollektiven wie Ton Steine Scherben. Da rufen sie schon mal in Gedenken an Yoko Onos und John Lennons "Bed In" hessisch babbelnd zum Lümmeln für den Weltfrieden auf, da wird das Scheppern der Abrissbirne im ehemaligen Wohlfühlviertel Shepperds Bush beklagt, und im Gedicht "Ihr englischen Sack" in Jandl'scher Vertracktheit gegen den Brexit gestänkert: "Hirnschlag ins Ecke / Hack ech ins Grinsl."

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Dagegen steht das Verschnarchte, schließlich ist die namensgebens "Luns" im Rotwelsch-Soziolekt das Bett. Die drei - weil hier aufgewachsen "halbe Bayern" - fallen oft in den Dialekt ihrer Jugend, besingen den Alpenblumenpflückrausch ebenso wie den seit Barockzeiten mahnenden morbiden Tanz vom Dirndl und dem Boandlkramer. "Wahrscheinlich mögen wir die Spießigkeit hier ja", sagt McCarthy, "es könnte nur etwas lockerer zugehen."

Eine dadaistische Gaudi wie das Bessere einst in der Neuen Deutschen Welle. McCarthy freut sich sehr über sein erstes deutschsprachiges Album, das er schon immer machen wollte. Und das er jetzt "mit Mega-Show" in die kleinen, linken Kulturzentren Deutschlands bringen kann, wie in München ins Kafe Kult - bei aller Liebe, "es ist schließlich eine Protestplatte."

Lunsentrio , Samstag, 11. November, 20 Uhr, Kafe Kult, Oberföhringer Straße 156

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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