Politische Feuilletons:Gemütsmenschen, bedingt europäisch

Lesezeit: 3 min

Armin Thurnher, der Herausgeber des Wiener Stadtmagazins "Falter", seufzt wütend: "Ach, Österreich!".

Von Cathrin Kahlweit

Eigentlich wollte Armin Thurnher, Herausgeber des Falter und einer der profiliertesten Publizisten Österreichs, sich im vergangenen Sommer in sein Landhaus zurückziehen und dort in aller Stille ein Buch über die Lügenpresse schreiben. Zwar ist, was Österreich angeht, die Presselandschaft eher vom Vorwurf der Mediokrität als vom Vorwurf der Lügerei zerquält, aber so oder so kam Thurnher nicht dazu, das Projekt fertigzustellen. Die Bundespräsidentenwahl respektive die Anfechtung und Verschiebung derselben kam dazwischen, weshalb er sich entschied, doch wieder einmal über sein Heimatland im Allgemeinen und die politische Lage im Besonderen zu schreiben - wie er das zuletzt auch schon in der "Republik ohne Würde" getan hatte.

Zum Weltuntergang möchte man nicht beitragen

Thurher ist 67 und schreibt im Falter, der sich allwöchentlich irgendwo zwischen Stadtzeitung und New Yorker zu positionieren versucht, in der Regel das Editorial. Dass er ein "durch Weltanschauung nach links gezogener Kapitalist" ist, dass er die FPÖ für eine letztlich faschistische Partei hält, das weiß die Republik, und dass er sich wünschen würde, der nächste Präsident wäre der bereits gewählte, also Alexander Van der Bellen, ist auch kein Geheimnis. Warum also noch ein Buch von Thurnher über Österreich, wo doch die lokalen Medien voll sind von Selbstbespiegelungen, Abgesängen und Endzeitstimmung?

"Ach, Österreich" liest sich tatsächlich über weite Strecken wie ein sehr langes Thurher-Editorial, was ein Vergnügen ist, weil der Autor eine selten gewordene Kunst beherrscht: das politische Feuilleton, wie es berühmte Kollegen früher in Kaffeehäusern verfassten. Er ist bissig und pointiert, witzig und selbstironisch, manchmal arg verschwurbelt, manchmal hart, manchmal resignativ und manchmal absurd in seinen Vergleichen und seiner Überschwänglichkeit.

Im Kapitel "Was ist los bei euch in Österreich?" muss er sich noch warmschreiben; man spürt bisweilen, dass die jüngere Geschichte dieser Republik ihn schon zu lange deprimiert, wo "Sklavenmentalität als immer noch geachtete Tugend" gilt, "Skepsis durch Abwinken und Realismus durch Fatalismus" ersetzt wird. Österreich sei ein "bedingt europäisches Land mit einer kaputten Öffentlichkeit und einer verdorbenen Politik", ätzt er, die Medien durch Anzeigengelder aus dem politischen Raum an der kurzen Leine, das Proporzsystem nicht reformierbar. Ein Land der Gemütsmenschen - "das sind jene, die zuschauen, wie die eigene Frau ertrinkt und jemand seine Kinder im Keller einmauert". Auch Karl Kraus konnte nicht böser sein.

Diesen Thurnher kennt man, er hat viele Fans. Der Thurnher in "Eine Wahl ist keine Wahl", quasi dem Mittelteil zwischen zwei Stoßseufzern, ist über Strecken ein Fremder. Er ist wütend. Nein, er ist WÜTEND! Der grüne Kandidat, schreibt er, habe nach der ersten Runde eine ungeheure Aufholjagd hingelegt, von 21 Prozent auf 51 Prozent in der Stichwahl. Der rechte Kandidat, Norbert Hofer, habe lange seine Unschuldslamm-Performance durchgehalten und inszenierte sich als Opfer. Das größte Unrecht sei für ihn wohl gewesen, dass er nicht Präsident wurde. Nun: Er bekommt eine neue Chance.

Warum? Weil die FPÖ ihre Niederlage nicht ertrug, habe sie versucht, "den Rechtsstaat madig zu machen, und zwar mit den Mitteln des Rechtsstaates". Ein Schelm, wer dabei an historische Vorbilder denke: Die FPÖ habe schließlich die Nazikeule eingepackt und diesmal das Florett benutzt. Mit Erfolg: Das Gericht gab der Anfechtung statt. Die Verfassungsrichter, mit ihnen die Republik (und, das sei hier eingeräumt, auch die Rezensentin) seien tief betroffen von den "Schlampereien und der Missachtung des Wahlgesetzes" gewesen. Wie naiv. Alles ein großer Bluff, eine monumentale Heuchelei. Schlamperei in Österreich - dieser Vorwurf habe das Land der Schlamperei in seinen Grundfesten getroffen. Alle Welt hätte nicht entsetzter sein können, wenn ein "Terrorkommando sämtliche Stimmzettel erbeutet und auf dem Heldenplatz abfackelt, worauf sich die Erde auftat und halb Wien verschluckte".

Thurher kann es nicht fassen, dass den Richtern die Möglichkeit einer Manipulation ausreichte, um die Wahl aufzuheben, obwohl keine Manipulation behauptet oder gar bewiesen wurde - eine Rechtsprechung im Konjunktiv, eine Auslegung des Gesetzes nicht nach dem Buchstaben, nicht einmal nach dem Sinn des Gesetzes, und damit letztlich im Sinne der FPÖ.

Dann arbeitet sich Thurnher an den Parteien ab. Fügt eine Liebeserklärung für den großen, unlängst verstorbenen Karikaturisten Manfred Deix und für den Ex-Bundespräsidenten Heinz Fischer bei. Und versucht zum Schluss, nicht ganz pessimistisch zu klingen, weil das Land vor die Hunde geht - auch wenn sich die Zivilgesellschaft noch immer dagegen aufbäumt. Was tun? "Man wird bescheiden und möchte nicht zum Weltuntergang beitragen", so der Autor, der tatsächlich ein bescheidener Mensch ist, und dann fragt er, scheinbar naiv: "Was braucht es zur Weltenrettung? Die Entmachtung des neoliberalen Denkkollektivs, eine Wiedereinführung der Humboldtschen Universität, die Neuerfindung von Sozialismus und Kapitalismus, die Entpanzerung der Interessenvertretungen und die Neugestaltung der Sozialpartnerschaft. Ein öffentliches Internet, eine gerechte Besteuerung der US-Medienkonzerne, eine Rekonstruktion der Öffentlichkeit." Wie, und mehr nicht?

Das müssen dann wohl andere erledigen. Armin Thurnher hat den Hang, sich nach einem Wutanfall wie "Ach, Österreich", in sein Landhaus zurückzuziehen und nachzudenken.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: