Phrasenmäher: Ganz bei Ihnen:Kognitiver Gegenverkehr

Was soll das eigentlich bedeuten, wenn der Gesprächspartner versichert, ganz bei uns zu sein? Und was, wenn man viel lieber alleine bleiben möchte?

Marko Pfingsttag

Schlimm genug, dass die Leute seit einiger Zeit davon sprechen, "ganz bei Ihnen zu sein", wenn sie der Meinung des Gegenübers sind.

In schweren Zeiten ist die Kanzlerin ganz bei ihrem Verteidigungsminister. (Foto: dpa)

Vielleicht möchte man ja lieber alleine sein, vor allem mit seiner eigenen Meinung. Der andere kann ja die seine haben, gerne die gleiche, nur dieselbe muss es nicht sein. Man isst ja auch nicht vom selben Teller. Und schon gar nicht im ganz-und-garen Beisein des anderen.

Nun ist der Mensch nicht nur ein geselliges Wesen, sondern ambitioniert und fortschrittswillig. Strebsam hat er sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herausgeschuftet. Und hat mittlerweile das Credo vom unternehmerischen Ich voll verinnerlicht, trägt das Etikett "Selbstverantwortlichkeit" stolz auf der Stirn.

Und siehe da, wenn er etwas nicht versteht, wird er rege und proaktiv, fragt nach, lässt sich alles erklären, und ruft letztendlich aus: "Ah! Jetzt bin ich ganz bei Ihnen!" Er hat kognitiv aufgeholt, denkt auf der Nebenspur mit. Früher war man dazu angehalten, die Leute dort abzuholen, wo sie stehen. Jetzt kommen Sie einem bereits von selber entgegen. Wie die Geisterfahrer.

© SZ vom 22.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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