Philosophiefestival:Aristoteles ist ausverkauft . . .

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. . . und Hegel geht auch sehr gut. Doch der Star der diesjährigen phil.Cologne ist der polternde griechische Außenminister und Habermas-Herausgeber Nikos Kotzias, der den Deutschen "Kulturrassismus" vorwirft.

Von Michael Stallknecht

"Philosophie, das kommt wieder", sagt der Taxifahrer, der einen zu einer der Veranstaltungen fährt, die sich quer über die Stadt verteilen. "Die harten Naturwissenschaften sind schon okay, aber die Leute haben kein Konzept, die Politiker und all die." Philosophie in diesen Tagen in Köln, das ist ein bisschen wie mit der Oper in Wien: Sogar die Taxifahrer kennen den Spielplan. An die zehntausend Besucher erwarten die Macher der dritten phil.Cologne bis zum Ende am Mittwoch.

"Wenn jemand etwas verstanden hat, kann er es auch verständlich darstellen", sagt der Philosoph Wolfgang Welsch in seiner Einführung zur Philosophie des Aristoteles. Damit ist auch das Konzept der insgesamt 44 Veranstaltungen gut umrissen. Jahrzehntelang schien die Philosophie begraben zu sein in den Regalen der Universitätsbibliotheken, wo sie vor allem als historische Wissenschaft betrieben wurde. Nun soll sie wieder ins Leben hinein, in einer Zeit voller Unsicherheiten und Veränderungen; soll vielleicht sogar handfeste Konzepte liefern für die Politiker und all die.

Dass sie mit dieser neuen Rolle noch fremdelt, kann man bei der diesjährigen phil.Cologne allerdings ebenfalls erleben. Bemerkbar ist es vor allem an zwei Veranstaltungen, von der die erste gar nicht stattfand und die zweite erst kurzfristig eingeschoben wurde. Die phil.Cologne lud den Bioethiker Peter Singer wieder aus, nachdem dieser in der NZZ am Sonntag seine moralisch verfehlten Thesen zur möglichen Tötung schwerbehinderter Neugeborener wiederholt hatte (SZ vom 29. Mai).

Die zweite Veranstaltung ist der Besuch des griechischen Außenministers Nikos Kotzias, der die schwierige Frage beantworten sollte: "Wie rette ich ein Land?" Die Antwort erfuhr man dabei nicht, doch man bekam einen guten Eindruck davon, wie unversöhnlich es in Europa gerade hinter den Kulissen zugeht. Kotzias warf der Staatengemeinschaft "Erpressung" vor, gar "Kolonialismus". Die ständigen Meldungen über einen baldigen Durchbruch bei den Verhandlungen dienten nur dazu, Druck auf die Griechen auszuüben: "Wenn ihr jetzt nicht unterschreibt, dann seid ihr tot."

Im Zentrum der griechischen Wahrnehmung steht dabei vor allem Deutschland, für das Kotzias kein gutes Wort fand. Das ist bemerkenswert, schließlich spricht er fließend deutsch. Er hat an deutschen Universitäten studiert und sogar gelehrt und ist mit einer Deutschen verheiratet.

Im Moment aber sieht er vor allem einen neuen "Kulturrassismus" von deutscher Seite gegenüber seinem Land. Die Griechen seien in dieser Wahrnehmung faul und korrupt. Dabei gebe es auch in Deutschland Korruption; Kotzias raunte von griechischen Ersuchen an deutsche Staatsanwaltschaften, die einfach "verschwunden" seien.

Lebhaft ist der Eindruck davon, welch ungewohnt undiplomatischen Ton die neue Regierung nach Brüssel trägt. Dabei könnte Kotzias auch anders, schließlich ist er unter anderem der griechische Herausgeber der Werke von Jürgen Habermas. Aber an diesem Abend geht es vor allem um harte Fakten, Schuldenstände, Fristen - um Interessen also, nicht um Erkenntnis. Im Publikum herrscht aufgeheizte Talkshowstimmung. Die einen klatschen für Griechenland, die anderen schweigen umso reservierter. Die Grenze zwischen Politik und Philosophie, die zuvor so diffus erschien, ist plötzlich deutlich überschritten.

"Die puristischen Formate sind gefragt. Man darf das Publikum dabei ruhig mal überfordern."

Dabei sind es keineswegs nur die aktuellen Aufreger, die das Publikum zur phil.Cologne locken. Das interessiert sich nämlich gerade auch für die Basisveranstaltungen, wie Jürgen Wiebicke, einer der vier Programmleiter, bestätigt. "Der Aristoteles ist seit Langem ausverkauft, der Hegel läuft auch sehr gut." Ausgerechnet "die puristischen Formate" seien gefragt, und man dürfe das Publikum dabei auch mal "tendenziell überfordern".

In diesem Jahr sind vor allem die Veranstaltungen zum Islam und zum Transhumanismus (also der möglichen Verschmelzung von Mensch und Maschine) gefragt, aber auch ewig-menschliche Themen wie Tod oder Zeit kommen gut an.

Der Auftritt von Kotzias wie die Ein-, dann wieder Ausladung Peter Singers markieren dennoch die offene Frage, wie sehr man sich als öffentliches, wie sehr als akademisches Forum begreifen will. Denn Gesellschaften streben zu Recht nach moralischer Sicherheit. Denken aber darf gefährlich sein und kann sich nicht von vornherein in die Grenzen der Moral binden.

Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger forderte Singer, dass Philosophie auch anstößig sein können müsse. Auch manche Referenten der phil.Cologne kritisierten die Ausladung scharf. "Seine Ausladung habe ich tief bedauert", formulierte der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel. "Aber nicht, weil ich mit Singers Thesen übereinstimme, sondern weil ich es auf einem Philosophiefestival nicht die richtige Geste finde."

Und Merkels Gesprächspartner, der Soziologe Harald Welzer, pflichtet bei, "dass unsere Gesellschaft es aushalten muss, öffentlich Positionen zu diskutieren, die die meisten nicht unterstützen". Merkel: "Es handelt sich um ein Kuschen der autonomen Veranstalter vor einem massiven externen Konformitätsdruck."

Merkel und Welzer formulieren das im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema Freiheit, bei der beide die neuen Formen einer quasi sich selbst organisierenden Überwachung beklagen. Big Data heißt das Stichwort. Das kommt ein bisschen altväterlich daher, doch die Veränderungen lassen sich längst konkret festmachen. Früher, sagt Welzer, habe er in seiner Vorlesung stets auch "Gedanken probehalber" geäußert. Seit er wisse, dass vieles offen oder heimlich aufgezeichnet werde, traue er sich das kaum noch.

"Die nötige Trennung zwischen Hinterbühne und Vorderbühne der Gesellschaft schwindet."

Auch Merkel sagt, er habe ständig Sorge, in einer Vorlesung etwas Dummes oder unsauber Formuliertes zu äußern. Als Beispiel nennen beide den in den letzten Wochen viel diskutierten Blog Münkler-Watch, in dem Studenten den Politikwissenschaftler Herfried Münkler unmoralischer Äußerungen zu überführen suchen.

Indem die Studenten sich nicht einmal öffentlich zu ihrer Kritik bekennen müssten, werde Widerstand kostenlos und damit wohlfeil. Der Konformitätsdruck sei in den jüngsten Jahren erheblich gewachsen, weil die notwendige Trennung "zwischen einer Vorderbühne und einer Hinterbühne der Gesellschaft" im Schwinden begriffen sei.

Dabei sind Reibungen zwischen der Öffentlichkeit und ihren Intellektuellen gar nicht mal unbedingt neu. Seit der griechischen Antike gilt das Verhältnis zwischen Politik und Philosophie als notorisch angespannt. Erst das 18. Jahrhundert entwickelte die Utopie, dass Philosophen öffentliche Vorbilder werden könnten. Im 20. erledigte sich das Problem sowieso von selbst, indem die Philosophie sich in die Universitäten zurückzog. Nun kommt sie wieder, und damit auch die Frage nach ihrer Verantwortung.

Es ist vielleicht am Ende der Auftritt des Philosophiestars Slavoj Žižek, der am klarsten einen sinnvollen Umgang zwischen beiden Sphären aufzeigt, gerade weil er in der Žižek-typischen Weise unklar bleibt. Das Podiumsgespräch mit ihm ist hochpolitisch, Žižek spricht über Kommunismus und die griechische Regierungspartei Syriza, über Ökologie und religiösen Fanatismus.

Aber er tut es nicht eindeutig, nicht als Antwortender, sondern immer mit einem Schleier von Ironie. Deshalb kann Žižek auch Gedankengänge gehen, die sich, wenn man sie hier ein wenig falsch zitierte, problemlos skandalisieren ließen. Aber sie bleiben im Raum der Uneindeutigkeit, in einem vorpolitischen Raum. Philosophie kann wohl am Ende doch keine Konzepte liefern, für die Politiker und all die.

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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