Peter Weiss in Schweden:Bewohner einer Zwischenwelt

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In der schwedischen Rezeption steht zum Jubiläum das Flüchtlingsschicksal des Exilanten Weiss im Zentrum.

Von Thomas Steinfeld

Einen "Platz" würde man die kleine freie Fläche nicht nennen, die in der Stockholmer Innenstadt durch die Kreuzung zwischen Drottninggata und Adolf Fredriks Kyrkogata entsteht. Doch heißt die Fläche, auf der sich immerhin ein Baum und eine Parkbank befinden, seit dem vergangenen August "Peter Weiss Plats", zur Erinnerung an einen Künstler, der im Jahr 1940 an diesem Ort seine erste Bleibe in Stockholm fand: in Alma Schedins Pensionat, im Eckhaus gegenüber. Und wenn die neue Ortsbezeichnung auch nicht unbedingt ein Ausdruck großer öffentlicher Wertschätzung ist (so weit brachte es Peter Weiss in Schweden nie), so ist sie doch das Zeichen eines Ankommens. Erheblichen Anteil daran haben ein paar Intellektuelle, die Peter Weiss über Jahrzehnte treu geblieben sind: seine Witwe, die Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna-Weiss, seine Tochter, die Schauspielerin Nadja Weiss, der Verleger und Publizist Magnus Bergh.

Das Bild eines Deutschen in Schweden verblasst. Adoptiert wird der Flüchtling Weiss

Im Kunstmuseum der Universitätsstadt Uppsala wird gegenwärtig das malerische Œuvre gezeigt (bis zum 7. Januar), genauer: das, was davon übrig blieb, nachdem der größte Teil des Werkes vor acht Jahren bei einem Einbruch in einen Lagerraum verschwand. Den verbliebenen sechzig Originalen werden dabei fotografische Reproduktionen des verlorenen Materials hinzugefügt, wodurch ein seltsamer Eindruck entsteht: Denn Peter Weiss' malerisches Werk zeichnet sich ja ohnehin durch einen ebenso selbstbezogenen wie allegorischen Charakter aus. Im Rückblick betrachtet, möchte man beinahe von Standardsituationen der ästhetischen Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg sprechen. Indem die Ausstellung zwischen Originalen und Reproduktionen changiert, entsteht dabei ein eigenartiger Effekt: Es ist, als wäre die Reproduktion bereits mitkonzipiert (was vielleicht gar nicht falsch ist). Die Wirkung wird durch einige der Schwarz-Weiß-Kurzfilme Peter Weiss' gesteigert, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt werden: Immerzu sind darin einsame Menschen unterwegs, begleitet von Geräuschen und experimenteller Musik, die der Künstler selbst geschaffen hatte.

In "Orionteatern", einer zum Theater umgewidmeten Metallfabrik im Stockholmer Stadtteil Södermalm, inszeniert Nadja Weiss (der schwedische Kulturbetrieb hat eine große Neigung zu Dynastien) die "Ermittlung". Der politisch-moralische Peter Weiss ist ihr dabei wichtig, die repräsentative Darstellung von Gewalt und Leiden, und darin findet sie die Zustimmung der großen schwedischen Medien. Der Verlag Albert Bonnier hat unterdessen die Romane "Abschied von den Eltern" und "Fluchtpunkt" ("Brännpunkt") unter dem gemeinsamen Titel "Exil" neu herausgegeben.

Und es gibt in Schweden eine aktuelle literaturkritische Auseinandersetzung mit Peter Weiss: bei Magnus Bergh, zuletzt in einem Essay mit dem Titel "Peter Weiss stora dröm" (2014, "Peter Weiss' großer Traum"), in dem es um die Fortsetzung surrealistischer Traditionen in diesem Werk geht, in der Monografie "Peter Weiss i transit" (2014, "Peter Weiss in Transit") des Literaturwissenschaftlers Ola Holmgren, in der es um den Künstler als Bewohner einer sich permanent verändernden Zwischenwelt geht, und in einem Werk des jungen Philologen Markus Huss, der in seinem Buch "Motståndets akustik" (2014, "Die Akustik des Widerstands") erklärt, wie der Wechsel von der deutschen zur schwedischen Sprache (und zurück) für Peter Weiss intellektuell produktiv wurde. Der Unterschied zur älteren Rezeption Peter Weiss' in Schweden liegt darin, dass das Bild eines Deutschen in Schweden verblasst. Stattdessen hat man einen Flüchtling adoptiert.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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