Performance:Flüchtige Pirouetten

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Der Zündfunk-Superslam in der Milla

Von Theresa Hein, München

Der Mann, der die Bühne des Milla betritt, trägt neonfarbene Stulpen, schwarze Hotpants, ein hellblaues Halstuch. Dazwischen prangt eine mächtige Wampe. Aus dem Lautsprecher dröhnen ein Achtziger-Jahre-Beat und glitzerige Synthiesounds, und Bird Berlin, wie sich der Halbnackte nennt, beginnt zu singen. Und zu tanzen. Und sich mit Glitzer einzureiben. Die Menge tobt und jubelt und lacht, Bird Berlin dreht Pirouetten und bevor man sich an seine Performance gewöhnt hat, ist er auch schon wieder verschwunden.

Jeder der Künstler, die beim Zündfunk-Superslam in der Milla am Freitag auftreten, hat fünf Minuten vor Publikum, dann wird gewechselt. Egal, wie bekannt die Künstler bereits sind, jeder hat die gleiche Zeit, der Austrofred genauso wie der Münchner Ursprungs-Hip-Hopper David P oder Konrad Stock, der auf seinem Dudelsack bayerische Weisen in irrer Geschwindigkeit spielt. Wie überzeugt man eine fordernde Menge, die halb entspannt, halb mit den Füßen scharrend an diesem Freitagabend in die Milla kommt, um feierabendlich unterhalten zu werden - und das in derart kurzer Zeit?

Die Künstler des Zündfunk-Superslams machen einfach das, was sie können. Veronica Burnuthian drischt mit den Drum- sticks auf die Becken und schreit fünf Minuten lang, als müsste sie die Olympiahalle beschallen. Dann ist die junge Ingolstädterin Manel Rodriguez dran. Sie ruft: "Ich hab die Schule abgebrochen, yeah". "Für die Musik?" fragt Zündfunk-Moderator Achim Bogdahn. "Weiß ich nich', für irgendwas", nuschelt sie. Wenn sie in tiefere Tonlagen hinabsteigt, dann wird ihre Stimme anzüglich, aber es ist eine absichtslose Erotik, glaubhaft und bezaubernd, fünf Minuten. Kurz vor Schluss kommt Volker Keidel und erklärt bei seiner Lesung, dass es in seiner Jugend nur zwei Getränke gegeben hätte: "Bier oder Asbach Cola." Die Zuhörer lachen. So ist es an diesem Abend. Wenn sich ein Mensch freut, freut sich der Mensch daneben auch, selbst, wenn der gar nicht so genau weiß, was Asbach Cola ist. Man ist einfach nett zueinander. Fünf Minuten Nettigkeit im Alltag fordern auch die Indiemusiker von "Das Band" aus München, die diesen allerersten Slam-Marathon eröffnen: "Verzweifelte, überforderte Glockenbachfrau/ halt mir mal die Tür auf". Die Gitarrenriffs der Musiker schrammeln vor sich hin, die Texte auch ("Ist es nicht gefährlich?"), sie machen es sich im Ohr der Zuhörer gemütlich. Auf Anstrengung hat hier niemand Lust. Der nächste Superslam soll im Januar stattfinden, bis dahin summen die Besucher dieses Abends heimlich und leise die Eurovisionshymne, mit der der Münchner Kneipenchor den Slam- abend abschließt. Alles an diesem Abend ist ein bisschen irre, aber gefährlich ist es nicht.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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