Performance:Besser sehen mit den Ohren

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Stefan Hunstein in der Galerie Häusler Contemporary

Von Jürgen Moises, München

Es beginnt mit einem Knall, und bald ist auch von einem Schuss und Mord die Rede. Der Knall ist echt, Schuss und Mord sind imaginiert. Sie stammen aus Heiner Müllers "Bildbeschreibung", einem sehr bildstarken, düsteren Prosatext, den Stefan Hunstein auf einem Stuhl vorträgt, kurz nachdem er eine rechteckige Platte lautstark auf den Boden hat fallen lassen. Dass es sich dabei um ein Bild, ein Schreckbild der Medusa handelt, das nun in tausend Scherben zerbrochen auf dem Boden liegt, das wird man erst am Ende der Performance sehen. Davor gilt es, neben derjenigen von Heiner Müller noch vier weiteren Bildbeschreibungen zu lauschen, etwa von Roland Barthes, Heinrich von Kleist und Peter Weiss, von denen Titel und Namen aber ungenannt bleiben.

Willkommen im "Musée Imaginaire. Im Augenblick des Bildes", wie der Münchner Künstler und als langjähriges Ensemblemitglied der Kammerspielen bekannte Schauspieler Stefan Hunstein seine Performance nennt, die an diesem Freitag um 20 Uhr und am Sonntag, 7. Mai, um 12 Uhr noch einmal in der Galerie Häusler Contemporary zu sehen ist (Maximilianstraße 35, Eingang Herzog-Rudolf-Straße, um Anmeldung unter muenchen@haeusler-contemporary.com wird gebeten). Gewidmet ist sie dem französischen Autor und Politiker André Malraux, der vor genau 70 Jahren die Vision eines "Museums ohne Mauern" hatte, das "allein in der Vorstellung eines jeden von uns existiert". André Marlaux' Vision war inspiriert von der Reproduzier- und Verfügbarkeit sämtlicher Dinge, wie sie durch die Fotografie möglich geworden ist.

Bei Stefan Hunstein muss sich der Zuschauer die Dinge selbst reproduzieren, das heißt, die in den Texten evozierten Kunstwerke wie Caspar David Friedrichs Seenlandschaft oder den Pergamon-Altar. Denn direkt zu sehen gibt es sie nicht, stattdessen nur ein projiziertes Licht-Rechteck sowie fünf kleine Malraux-Büsten, aus denen Hunstein zwischen den Text-Rezitationen USB-Sticks zieht. Um damit André Malraux' Bildgedächtnis anzuzapfen? Eine einfache Geste, die symbolisch vieldeutig interpretierbar ist. Genauso wie das Zerbrechen des Medusa-Blicks, das dadurch gelingt, dass man den eigenen Blick gar nicht benötigt? Tatsächlich wird im "Musée Imaginaire" dank Stefan Hunsteins ausdrucksstarker Stimme das Gehör zum Auge, das einen die Dinge noch viel intensiver sehen lässt. Vielleicht, weil es keine realen Bilder gibt, die einen ablenken, in diesem gerade durch seine Reduktion sehr eindringlichen Spiel mit der Wirkungskraft imaginärer Bilder.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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