Papst und Missbrauchsdebatte:Schuld ist der Zeitgeist

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Papst Benedikt XVI. warnt angesichts der Zölibats-Diskussion vor dem "Zeitgeist". Leider kommt dieses Wort immer zu Unzeiten über die Lippen führender Katholiken.

Carsten Matthäus

Der Papst ist bestürzt. Seine katholische Kirche in Deutschland ist von einer Welle des Misstrauens erfasst, seit immer neue Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen an die Öffentlichkeit geraten. Immer deutlicher wird, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte, sondern um die systematische Ausnutzung eines Schutzraumes, und um perverse sexuelle Gelüste ordinierter Priester. Aus moralisch-religiöser Sicht verjährt das nie. Prominente Schriftsteller wie Bodo Kirchhoff finden kaum noch Worte, um die als Kind ertragene Schmach zu beschreiben.

Deshalb wären jetzt die richtigen Worte des Papstes so wichtig. Derer gibt es noch nicht viele, und sie sind nicht gut gewählt. Was der Papst bislang sagte: Er hat es nun sehr deutlich abgelehnt, eine Diskussion über das Zölibat zu führen. Das hatte in Deutschland nicht irgendwer, sondern Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK) angeregt.

Die Kirche müsse "Konsequenzen struktureller Art ziehen und dabei reflektieren, ob es kirchenspezifische Bedingungen gibt, die den Missbrauch begünstigten", sagte dieser der Süddeutschen Zeitung. Unterstützt wurde Glück unter anderem vom Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der explizit auf ein Grundproblem des Eheverbotes hinwies. Die zölibatäre Lebensform könne Menschen anziehen, die eine krankhafte Sexualität haben, so Jaschke in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt.

Skandal kleinreden

Der Papst will aber nicht über solche strukturellen Probleme reden. Die Ehelosigkeit sei ein Geschenk Gottes, das nicht dem Zeitgeist geopfert werden dürfe, sagte er nach Gesprächen mit den deutschen Bischöfen in Rom. Flankierend dazu bemühen sich Vatikan-Funktionäre darum, den Skandal kleinzureden. So schreibt Bischof Giuseppe Versaldi, Mitglied des vatikanischen Obersten Gerichtshofs, die Kirche werde im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen "übertrieben negativ" dargestellt.

Insbesondere der Verweis auf die Gefahren des Zeitgeistes ist in der jüngsten Vergangenheit häufiger verunglückt. Erst Mitte Februar hatte sein Glaubensbruder Walter Mixa, Bischof in Augsburg, gegen die "Sexualisierung der Gesellschaft" gewettert. Dabei sagte er auch, die katholische Kirche gegenüber Sexualstraftätern in den eigenen Reihen zu nachlässig gewesen, weil sie möglicherweise einem Zeitgeist aufgesessen" ist.

"Das Andere, das Falsche, das Verderbte"

Das Geißeln des Zeitgeistes steht insbesondere bei einer katholischen Glaubensgemeinschaft hoch im Kurs, der traditionalistischen Pius-Bruderschaft. Deren deutscher Distriktobere Franz Schmidberger betrachtet es als die Pflicht seiner Gemeinschaft, "den glaubensfeindlichen Zeitgeist, die Diktatur des Relativismus und die permissive Moral" beim Namen zu nennen. Um dies zu tun, hat Schmidberger beispielsweise den ehemaligen Vorsitzenden der deutschen Bischofkonferenz, Kardinal Karl Lehman, so aus dem Amt verabschiedet: "Wir danken Gott, dass er seinem (Lehmanns, Anm. d. Red.) Zerstörungswerk an der Kirche in Deutschland ein Ende gesetzt hat". Dazu muss man wissen, dass Lehmann sein Amt wegen schwerer Krankheit aufgeben musste.

Im einem solchen Verständnis von Religion ist der Zeitgeist schlicht "das Andere, das Falsche, das Verderbte". Vor allem soll es das sein, was per Definition bald wieder vergeht. Der richtige Umgang der Kirche mit Sexualität aber ist eben kein Zeitgeist-Thema. Gerade weil nun Verfehlungen aus vergangenen Jahrzehnten aufgearbeitet werden, ist das Problem des sexuellen Missbrauchs von zeitloser Relevanz. Sollten führende Katholiken wirklich glauben, man könne warten, bis sich die Aufregung wieder gelegt hat, haben sie die Zeichen der Zeit gründlich missverstanden.

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