Oligarchen und der Kunstbetrieb:Türsteher einer sehr exklusiven Party

Lesezeit: 6 min

Wo es um Kunst geht, ist heute immer mehr Geld im Spiel. Superreiche erwerben nicht nur einzelne Werke, sie kaufen das Museum gleich dazu. Mit ihrem Geld bestimmen sie zunehmend den Verlauf der Kunstgeschichte. Junge Talente werden dabei rücksichtslos zerrieben.

Catrin Lorch

Es war der amerikanische Autor und Kritiker Clement Greenberg, der mit der "Goldenen Nabelschnur" ein Bild prägte für die Verbindung zwischen künstlerischer Avantgarde und der "Elite der herrschenden Klasse". Er beschrieb so ein Bündnis, das den Künstlern eine stabile Einkommensgrundlage garantiere und zugleich die Elite ihrer bürgerlichen, intellektuellen Unabhängigkeit versichere. Das Bild beschrieb das Verhältnis zwischen öffentlicher Kulturförderung und den Produzenten, passte aber zum mäzenatischen Kunstsammler. Vor allem beschrieb Greenberg eine Verbindung, die, schlank wie eine Nabelschnur, zwar durchpulst war, aber eben keine goldene Kette oder Fessel, sondern eher eine Grundversorgung.

Das Museum Brandhorst, gleich neben den Pinakotheken in München, zeigt moderne und zeitgenössische Kunst aus der ursprünglichen Privat-Sammlung des Ehepaares Brandhorst. 1999 wurde die Sammlung dem Freistaat Bayern übergeben. (Foto: dpa)

Wo es um Kunst geht, ist heute immer mehr Gold im Spiel. Und es nährt nicht länger allein die Künstler. Eine neue, internationale, superreiche Schicht von Sammlern investiert auch - um im Bild zu bleiben - in goldene Petrischalen, in denen man Kunst zu züchten versucht, die man in schimmernden Retorten heranwachsen lässt, um sie, von goldenen Brutkästen gewärmt, direkt vor den Toren der Kunstgeschichte abzusetzen. Denn es ist vor allem die junge, zeitgenössische, gewissermaßen lebende Kunst, die von diesen Sammlern als investitionstauglich entdeckt wurde.

Während früher Sammler darauf angewiesen waren, dass ihre auf subjektivem Geschmack gründenden Kollektionen letztlich als museumswürdig geadelt würden - wozu sie willig in Vorleistungen wie Schenkungen, Dauerleihgaben, das Engagement in Museums-Förderkreisen oder Ankaufskommissionen traten -, bauen sich Sammler schon seit einigen Jahren ihre eigenen Häuser. Was den eigenen Kanon nicht nur wirkungsvoll rahmt, sondern auch frühzeitig in der Öffentlichkeit verankert.

In Deutschland sind das Sammler wie Ingvild Goetz in München oder die Familie Essl, Harald Falckenberg in Hamburg, die Langen Foundation bei Düsseldorf. Oder die junge Generation, Sammler wie Christian und Karen Boros, die in Berlin mit ihrer Sammlung einen Bunker bezogen haben, oder die junge Düsseldorferin Julia Stoschek, die auf einem Plakat für ihre Sammlung auch schon mal mit der Kapitänsmütze posiert.

Die Kluft zwischen privatem und öfentlichem Sammeln verschwimmt

Diese selbstbewusste Generation hat die Zonen privaten und öffentlichen Sammelns durchlässiger gemacht - auch weil sich öffentliche Museen auf dem boomenden Markt für zeitgenössische Kunst als Einkäufer zurückhalten. Dennoch werden Aktivitäten in diesem Grenzbereich misstrauisch beäugt: Sammler wie Hans Grothe, die mit Versprechen und geschickten Verträgen Museen manipulieren und ausbooten, belegen letztlich doch, dass die Öffentlichkeit empfindlich bleibt. Das Andocken der Flick-Collection an das Museum Hamburger Bahnhof in Berlin wurde ebenso vehement kritisiert wie die Tatsache, dass die Sammlung Brandhorst, in München in einer bunten Kiste direkt neben den Pinakothen untergebracht, als Stiftung inzwischen mehr Geld zum Sammeln zur Verfügung hat als die Traditions-Museen in der bayerischen Metropole.

Und die Feuilletons fragen dieser Tage zu Recht, aufgrund welcher Schenkungs- und Leih-Vereinbarungen eigentlich die Gemäldegalerie in Berlin zugunsten der Surrealisten-Sammlung von Heiner und Ulla Pietzsch geräumt werden soll. Dass die Öffentlichkeit sich da überhaupt Gehör verschaffen kann - wenn auch erst kurz vor Räumung -, zeigt, dass hier noch alte Mechanismen greifen, dass sich auch großzügige Geber und ihre Gaben beurteilen lassen müssen, bevor sie in Dauerausstellungen oder Depots einziehen dürfen: von Kritikern, Kämmerern, Kultursenatoren, Stiftungsräten, Politikern - und nicht zuletzt der Kunstgeschichte.

Das ist sicher einer der Gründe, warum es eine neue Kaste von Sammlern vorzieht, sich den eingespielten Apparaten ganz zu entziehen. Es ist sicher kein Zufall, dass das Modell dafür gerade in Russland oder Südamerika entwickelt wird: in Ländern, die, was zeitgenössische Kunst angeht, noch aufzuholen haben.

Der Platz am Katzentisch reicht den Oligarchen nicht

Denn auch wenn die Texte zur Kunst, ein kritisches Magazin, die kürzlich eine ganze Ausgabe den "Sammlern" widmeten, statistisch aufschlüsseln, dass mehr als die Hälfte der Akteure der globalisierten Kunstwelt immer noch in den USA sitzen, zumindest wo es um zeitgenössische Kunst geht, und nicht in China, dem arabischen Raum oder Russland (insgesamt 5 Prozent) - so geben die von wenig Skrupeln belasteten Großsammler aus diesen Gegenden doch ein durchsetzungsfreudiges Bild vor: Es reicht den Entrepreneuren, die als Industrielle ihre Milliarden gemacht haben, als Oligarchen oder Rohstoff-Lieferanten, nicht aus, erst einmal vom Katzentisch aus den Ausverkauf der letzten Picassos oder Impressionisten zu verfolgen; lieber als zweimal im Jahr zum Auktionszirkus zu fahren, tummeln sie sich auf Biennalen in Venedig oder Messen in Miami, vor allem weil man dort auch aktiver mitmischen kann.

Diese Sammler haben entdeckt, dass man sich im Bereich der zeitgenössischen Kunst als Akteur auf vielen Ebenen etablieren kann, wenn man nur bereit ist zu investieren. Die Kanonisierung eines Werks, die ja sonst während einer langen Biografie erst erworben wird, um sich vor nachfolgenden Künstler-Generationen zu bestätigen, lässt sich mit Geld erheblich abkürzen: Wozu lange auf Retrospektiven in öffentlichen Museen warten, auf wohlwollende Besprechungen, Kunstpreise, Berufungen, wenn man das alles auch selbst finanzieren, ausloben, befördern kann?

Die Zeiten, in denen ein Richard Hamilton warten musste, bis er mit vierzig seine erste Einzelschau bekam, während ein Picasso zu Lebzeiten von keinem französischen Museum angekauft wurde, sind vorbei - wenn nur die Großsammler vom Schlage eines Viktor Pinchuk oder Dascha Schukowa auf den Geschmack kommen.

Die Letztgenannte unterhält neben ihrem singulären Kunstzentrum "Garage" in Moskau - das schon am bisherigen Standort mehr Ausstellungsfläche unterhielt als die Neue Nationalgalerie - auch ein eigenes Kunstmagazin. Und Viktor Pinchuk leistet sich nicht nur mit dem Pinchuk Art Center, fünf Stockwerke hoch, ein Zentrum zeitgenössischer Kunst in Kiew, sondern vergibt mit dem 100.000 Dollar wertvollen "Future Art Prize" auch einen der höchstdotierten Kunstpreise überhaupt an Künstler, die jünger als 35 Jahre sind. Diese Sammler finanzieren Ausstellungen und Kataloge, sie präsentieren da, wo sich in Venedig oder Basel die Szene trifft, ihre jüngsten Erwerbungen, Ausstellungsvorhaben, Veröffentlichungen - und sie kaufen und kaufen und kaufen.

Zudem können Pinchuk, Schukowa & Co. - weil sie auftreten wie die Türsteher einer sehr exklusiven Party - auf eines setzen: Es waren nie die mächtigen Händlerfiguren oder Auktionshäuser allein, die dem Markt die Richtung vorgeben - es gibt auch ein Herdenverhalten der Sammler, das Michael Findlay, ein einflussreicher Galerist, in seinem kürzlich erschienenen Buch "Vom Wert der Kunst" so beschreibt: "Viele Käufer folgen lieber der Wahl eines anderen Sammlers, als auf einen Kurator oder Händler zu hören. Als Ronald Lauder 2007 für eine Gemälde von Gustav Klimt 135 Millionen Dollar zahlte, berichteten die Medien weltweit von diesem Ereignis. Sammler, die bis dato kein Interesse an österreichischer und deutscher Kunst hatten, horchten auf." Schließlich will man den teuer erworbenen Lucian Freud oder Andy Warhol ja vielleicht tatsächlich eines Tages wieder abgeben, da belebt Konkurrenz das Geschäft nicht nur, man ist einander häufig genug auch Kunde.

Gesammelt wird nur noch im eigenen Interesse

Einer der Ersten, die dafür einen Ausdruck fanden, war Chris Dercon, derzeit Direktor der Tate Modern in London, damals noch am Münchner Haus der Kunst, als er sagte, die einst so individualitätssüchtigen Sammler seien inzwischen nur noch Klone, die sich einer wie der andere gleichen - sie sammelten nur noch im eigenen Interesse. Was vor allem da problematisch wird, wo die Parallelwelt sich mit der öffentlich subventionierten vermischt, indem sie sie einkauft. Wo Kunsthistoriker sich in Katalogen oder bei Vernissagen als Diskursproduzenten missbrauchen lassen, aber auch, wo Museumsdirektoren im großen Stil mithelfen.

Viktor Pinchuk beschäftigt nicht nur Eckhard Schneider, vormals Direktor des Kunsthauses Bregenz, als Leiter seines Privatmuseums, er hat als Berater Nicolas Serota von der Tate in London verpflichtet und Alfred Pacquement vom Centre Pompidou; in der Jury seines Kunstpreises sitzt auch Okwui Enwezor, derzeitiger Leiter des Münchner Hauses der Kunst, und Großsammler François Pinault leistet sich als Ausstellungsmacher auch schon mal Francesco Bonami, den ehemaligen Kurator der Biennale in Venedig.

An ein System der Verwertung geschmiedet

Dass die ungebremste Erhöhung der Schlagzahl - der Events, der Auftritte auf Biennalen, der frühen Retrospektiven und begleitenden theoretisierenden Betrachtungen - der jungen Kunst nicht nur dient, kann man dort beobachten, wo Karrieren im internationalen Zusammenspiel aufgerieben werden, Talente zu früh ausgebeutet, Begabung zu viel liefern muss. Wer schon während seiner Akademiezeit mit Preisen überschüttet wird, um direkt nach der Ausbildung fest bei mehreren internationalen Galerien zu landen, der wird sich nicht mehr groß entwickeln - gefragt sind ohnehin international verständliche Konzepte: Malerei, elegante Video-Filme, humorige Skulpturen. Intellektuelle One-Liner mit Wiedererkennungswert in der Nachfolge von Koons und Cattelan.

Als junger Künstler ist man da schnell ein Markenzeichen - undenkbar, dass man am Ende der Ausbildung erst einmal alle Werke ins Meer wirft, wie es die in der Türkei ausgebildete Ayse Erkmen einmal beschrieb, um sich danach erst zu erfinden. Denn da hinge heute gegebenenfalls schon die goldene Kette dran, die den begabten, den Ausnahmekünstler an ein internationales System der Verwertung schmiedet, dem er sich verpflichtet hat.

© SZ vom 16.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: