Norwegische Literatur:Im Auto schlafen

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Ins Leben eingepasst: Eine fünfzigjährige Lehrerin hat das Gefühl, an sich selbst und dem gutbürgerlichen Leben, das sie in einem Vorort von Oslo führt, zu ersticken: Nina Lykkes Romandebüt "Aufruhr in mittleren Jahren".

Von Franziska Wolffheim

Mit dem Älterwerden wächst der Unruhefaktor des Déjà-vu. In Nina Lykkes "Aufruhr in mittleren Jahren" hat die Hauptfigur, die fünfzigjährige Lehrerin Ingrid, das Gefühl, an sich selbst und dem gutbürgerlichen Leben, das sie in einem Vorort von Oslo führt, zu ersticken. Doch handelt der erste Roman der norwegischen Autorin nicht nur von der Melancholie des Älterwerdens. Es ist zugleich das bissige Porträt einer Ehe und einer Midlife-Krise in all ihren verrückten und verzweifelten Ausformungen.

Von außen betrachtet funktioniert diese Ehe reibungslos, eine gut geölte Maschine, bis ins kleinste Detail austariert und über mittlerweile 25 Jahre erprobt. Rasen mähen, Schnee fegen, Rechnungen bezahlen, Sex haben - der Roman legt ein Alltagskorsett über seine Figuren, das ihnen Halt gibt, aber auch die Luft abschnürt. Jan, Ingrids Mann, Beamter im Ministerium, fühlt sich eingepasst in ein Leben, das vom Kontrollzwang seiner Frau bestimmt wird, und flüchtet sich in Aussteigerfantasien. Die beiden großen Söhne, die noch zu Hause leben, lassen sich von der Mutter die Wäsche waschen und überhaupt alles Unangenehme vom Hals halten. Aber da Ingrid, die als Lehrerin arbeitet, an der Rolle des resignierten Hausmädchens festhält, obwohl sie darunter leidet, bleibt alles, wie es ist. Zunächst jedenfalls.

Die Bombe heißt Hanne und raucht in ihrer versifften Wohnung Shit

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieses überreglementierte, fragile System zerbricht und die Bombe platzt. Die Bombe heißt in diesem Fall Hanne und ist eine deutlich jüngere Kollegin von Jan, die beiden treffen sich heimlich, rauchen in ihrer versifften Wohnung gemeinsam Shit, bis Jan die Beziehung irgendwann nicht mehr geheim halten kann. Ingrid ist geschockt. Der Roman hätte hier in ein Scheidungsdrama übergehen können. Doch er wählt die modernere Variante. Jans Ehebruch wird zum Katalysator, der Ingrids Leben neuen Schwung verleiht. Sie verbringt immer weniger Zeit zu Hause, richtet sich draußen im Auto häuslich ein, schläft sogar nachts darin und bricht schließlich zu einer großen Reise auf, natürlich allein. Während die Betrogene zu sich selbst findet, verheddert sich Jan zunehmend in seinem Leben.

Ingrid, die als Kind den Selbstmord der Mutter verkraften musste und sich Zeit ihres Lebens nahezu zwanghaft in diverse Katastrophenfantasien gestürzt hat, wird zur eigentlichen Gewinnerin des Romans. Glücklicherweise belässt es die 1965 geborene Autorin bei Andeutungen und überfrachtet ihren Roman nicht mit psychologischen Deutungsmustern. Auch hütet sie sich vor Ratgeber-Botschaften des Typs "Warum Krisen uns stark machen". Trotz kleiner dramaturgischer Schwächen ist ihr Roman über die in der Wohlstands-Saturiertheit enthaltenen Unglückspotentiale ein gelungenes Debüt.

Nina Lykke: Aufruhr in mittleren Jahren. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger und Sylvia Kall. Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2018. 272 Seiten, 20 Euro.

© SZ vom 25.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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