Nobelpreisträgerin Herta Müller:Ein Satz mit Taschentuch

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Herta Müller wird an diesem Donnerstag der Literatur-Nobelpreis verliehen. Kurz zuvor spricht sie über verlorene Würde und "akute Einsamkeit".

Kurz vor Entgegennahme des Literaturnobelpreises hat die Schriftstellerin Herta Müller (56) mit stillen Tönen an die Folgen von Unterdrückung, Erniedrigung und Isolierung für einzelne Menschen in Diktaturen erinnert. Die Berlinerin mit rumänischem Geburtsschein bekommt den berühmtesten Literaturpreis der Welt an diesem Donnerstag von Schwedens König Carl XVI. Gustaf überreicht.

Die Schwedische Akademie hatte die Vergabe des Nobelpreises damit begründet, dass Herta Müller "mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit zeichne." (Foto: Foto: dpa)

In der traditionellen "Nobelvorlesung" vier Tage vorher im Stockholmer Börsenhaus berichtete Müller unter dem Titel "Jeder weiß etwas vom Teufelskreis" über prägende Erfahrungen aus ihrem Leben als Angehörige der deutschen Banater-Minderheit im kommunistischen Rumänien. Die 1987 von Rumänien in das damalige West-Berlin übergesiedelte Autorin erzählte von der immer wieder barsch vorgebrachten, aber liebevoll gemeinten Frage ihrer Mutter vor dem Schulweg: "Hast du ein Taschentuch?"

Die Rolle des Taschentuchs als Trost- und Haltepunkt beschrieb sie am Beispiel ihres eigenen Widerstandes gegen Anwerbungsversuche des rumänischen Geheimdienstes und eines Erlebnisses ihres 2006 gestorbenen Schriftsteller-Freundes Oskar Pastior.

Im Mittelpunkt von Müllers letztem Roman "Atemschaukel" stehen die furchtbaren Erlebnisse Pastiors nach dem Zweiten Weltkrieg als Deportierter aus Rumänien in der Ukraine. Die Schwedische Akademie hatte die Vergabe des Nobelpreises im Oktober damit begründet, dass Müller "mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit zeichne."

Am Ende der Nobelvorlesung standen Sätze, auf die diese Kennzeichnung zutreffen dürfte: "Ich wünschte mir, ich könnte einen Satz sagen, für alle, denen man in Diktaturen alle Tage bis heute die Würde nimmt - und sei es ein Satz mit dem Wort Taschentuch." Müller schloss ihre Vorlesung so: "Kann es sein, dass die Frage nach dem Taschentuch seit jeher gar nicht das Taschentuch, meint, sondern die akute Einsamkeit des Menschen?"

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