Neuübersetzung:Drive der Verwüstung

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Der erste der 23 Parker-Romane von Richard Stark aus dem Jahr 1962 ist in neuer Übersetzung von Niklaus Stingl wieder da: Und der illusionslose Held, der coole Einzelgänger im Schatten, ist lebendig wie eh und je.

Von Tobias Kniebe

Ein Mann kommt in die Stadt, um ein paar Dinge zu erledigen. So beginnen sie ja immer, die großen Rachegeschichten. Aber zu Fuß über die George Washington Bridge nach Manhattan hinein, um acht Uhr morgens, als Wanderer am Rand des Berufsverkehrs? Nüchterner und fußläufiger ist wohl selten eine Figur in den Kanon der Literatur eingetreten. Und doch ist klar, schon von der ersten Seite an: Parker ist einer der Großen in seinem Geschäft. So pragmatisch und hartgesotten, dass er nicht einmal einen Vornamen braucht.

"Seine Hände, die mit leicht gekrümmten Fingern an seinen Seiten schwangen, sahen aus, als wären sie aus braunem Lehm modelliert, von einem Bildhauer, der groß dachte und Adern mochte." Schon sieht man ihn vor sich, aufs Äußerste reduziert und tödlich, der Killer als Giacometti-Figur. Und wie Giacomettis schreitende Männer hat Parker, einmal in Bewegung gesetzt, die Aura der Unaufhaltsamkeit.

Weiter heißt es: "Frauen, die auf dem Weg ins Büro waren, sahen ihn an und spürten Vibrationen oberhalb ihrer Nylons." Moderner und direkter müsste man wohl sagen, sie wurden feucht im Schritt. Was durchaus bemerkenswert ist, wenn man im Berufsverkehr an einem Mann vorbeifährt, den man nur von hinten sieht. Eine historische Figur, erfunden im Jahr 1962, und die Nylons, die er da zum Vibrieren bringt, stammen aus den Fünfzigern.

Wie auch das ganze Welt- und - vorsichtig ausgedrückt - nicht mehr ganz aktuelle Frauenbild des Autors Donald E. Westlake (1933 bis 2008). Aber damals fing er eben an, pragmatisch und geradlinig, als Pulp-Schreiber und Softsex-Autor, für jedes Genre hatte er ein eigenes Pseudonym, und als er Parker schuf, wurde auch sein Alias kurz, schnell und hart - da nannte er sich Richard Stark. Im Lauf der Jahre legte Westlake dann 23 Parker-Romane hin, den ersten Schwung bis Mitte der Siebzigerjahre, dann ging es Ende der Neunziger wieder los. Seitdem ist auch der Zsolnay-Verlag an Bord, der hier, mit neuer Übersetzung von Nikolaus Stingl, Grundlagenarbeit leistet. "The Hunter" war 1962 der erste Band, 1967 hat ihn John Boorman unter dem Titel "Point Blank" auf die Kinoleinwand gebracht, Parkers Eintrittskarte in die Welt der Hardboiled-Klassiker.

Wobei das Cover, das Lee Marvin in "Point Blank" zeigt, wie er im ausgetrockneten Betonbett des Los Angeles River steht, doch in die Irre führt. "Point Blank" ist tatsächlich ein Film, in dem die Topografie von Los Angeles eine entscheidende Rolle spielt, "The Hunter" aber ist ein New- York-Roman durch und durch. Allein die Beschreibungen der Orte, die Parker aufsucht, sind Kleinodien der Verdichtung, Rohdiamanten aus dem Staub der Stadt gepresst: "Tagsüber liegt der Schatten der Manhattan Bridge auf den Fenstern von Landau's Bar and Grill. Nachts gibt es zu viele Schatten, als dass sich der Ursprung eines einzelnen feststellen ließe." Gleich danach wird in Landau's Bar ein schmieriger Typ unter Druck gesetzt, um eine Information aus ihm herauszupressen. Parker, der von gelegentlichen, gut geplanten Raubüberfällen lebt, ist von seiner Frau und seinem Komplizen Mal hintergangen worden, nach einem erfolgreichen Massaker an südamerikanischen Revolutionären, denen sie alles Geld für einen Waffendeal abnahmen. Zweimal hat die Frau auf Parker geschossen, dann aber nicht nachgeprüft, ob er wirklich tot war, ein schwerer Fehler.

Richard Stark: The Hunter. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015. 192 Seiten, 17,90 Euro. E-Book 13,99 Euro. (Foto: N/A)

Jetzt zieht Parker eine Spur der Verwüstung durch New York. Seine Frau bringt sich um, nachdem dieser Wiedergänger von den Toten sie nur ein wenig in die Mangel genommen hat. Als Parker einmal in Fahrt ist, hat er auch mit dem Tod des Verräters Mal noch nicht genug - dann legt er sich mit dem "Outfit" an, für den Mal arbeitete. Dieses "Outfit" ist eine der unpersönlichsten Mafiaorganisationen der Kriminalliteratur - und darin dann wieder sehr modern. Das muss vor allem Mal erfahren, der früh vor Parker gewarnt wird. Seine Idee, auf die Solidarität des Mobs zu vertrauen, erweist sich als viel zu altmodisch und geradezu lächerlich. Denn der Vorgesetzte, ein Managertyp, der beim Sprechen gern ein Zelt mit den Händen macht, ähnlich der Merkel-Raute, erteilt ihm nur eine Lektion in lupenreiner Kapitalisten-Logik: "Sie haben zugelassen, dass ein Bereich Ihres Privatlebens zu einer möglichen Gefahr für die Organisation wird." Das könne eigentlich nur darauf hindeuten, "dass Sie nicht unsere Sorte von Mann sind".

Bei Gegnern ohne jede Solidarität ist klar, dass Parker am Ende eben doch die stärkere Macht ist, als Einzelgänger, der grundsätzlich nur auf sich selbst vertraut. So unaufhaltsam ist der Drive dieses amerikanischen Individualisten, dass auch der Autor Westlake, bis zu seinem Tod im Jahr 2008, ihn praktisch nie mehr ganz losgeworden ist. Und Parker lebt weiter, immer noch, wie auch diese schöne neue Übersetzung wieder beweist.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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