Neuer Krimi "Mein ist der Tod":An der Klebezunge der Heimat

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Gert Heidenreich ist eine literarische Instanz, die sich nun schon zum dritten Mal ins Krimi-Genre begeben hat. Er weiß um die Klebekräfte deutscher Provinznester und deren Leichen im Keller, doch bei der Motivlage seiner Täter neigt er leider zu Monotonie: Wahn, Wahn, überall Wahn.

Kristina Maidt-Zinke

Er hat es wieder getan, und es ist nicht auszuschließen, dass er von Neuem rückfällig wird. Gert Heidenreich, als Erzähler, Romancier, Lyriker, Bühnenautor, Essayist und Sprecher eine literarische Instanz, hat sich zum dritten Mal ins Krimi-Genre begeben, obwohl er ursprünglich nur der Forderung Friedrich Dürrenmatts nachkommen wollte, jeder Schriftsteller solle zumindest einmal im Leben einen Kriminalroman verfassen. Aber wie es so geht: Eine Ermittlerfigur gewinnt schnell ein Eigenleben, zumal dann, wenn sie gewisse Merkmale, Vorlieben und unerfüllte Wünsche mit ihrem Erfinder teilt - und flugs wird der Autor zum Serientäter.

Ein "fettes Chamäleon" nennt der Kommissar das Städtchen namens Zungen an der Nelda. (Foto: AFP)

Heidenreichs früh ergrauter Kommissar hat schlesische Vorfahren und trägt den Nachnamen Swoboda, der auf Polnisch "Freiheit" bedeutet. Und wie die meisten seiner Kollegen in einschlägigen Bestsellern ist er als Polizist überqualifiziert: Er verfügt über solide Bildung, einen Hang zum Grübeln, eine unbeamtenhaft aufsässige Natur, gehobene kulinarische Ansprüche und ein kompliziertes Verhältnis zu Frauen. Bei ihm kommt noch eine ausgeprägte künstlerische Begabung hinzu, hat doch Gert Heidenreich selbst als Maler begonnen, bevor er Schriftsteller wurde.

Gleich nach dem ersten Fall ("Im Dunkel der Zeit") schickte er seinen Helden in den Vorruhestand, wo er sich ungestört seiner wahren Neigung widmen sollte. Doch da gab es bereits eine Fangemeinde, die nach Fortsetzungen verlangte. Was insofern nicht verwundert, als der Hörbuchprofi Heidenreich, der die Wirkung seiner Sätze durch lautes Lesen zu überprüfen pflegt, auch als Krimiautor weiß, was er einem etwas anspruchsvolleren Publikum schuldig ist. Das klingt dann so:

"Ein Wunder! Der Schrei der Frau hallte über den Platz vor der Aegidiuskirche und flog über die Dächer der kleinen Stadt. Die Bewohner von Zungen an der Nelda waren an diesem Freitag auf ein Wunder so wenig vorbereitet wie auf ein Erdbeben. An der Barockfassade der Kirche hielten sich noch die Lichtfarben des Sonnenaufgangs, die im Himmel schon vergangen waren. Die Frau in einem dünnen, grauen Kleid hatte sich ihre rote Strickjacke um den Kopf geschlungen, die Ärmel schwangen vor ihrem Gesicht hin und her, während sie mit geschlossenen Augen am Fuß ihres langen Schattens über die Platten aus Sandstein tanzte, als hielte es sie nicht mehr am Boden. Sie hatte das Herz der Schmerzensmutter in der Kirche bluten sehen."

Hübsche Namenssymbolik

Das Herz hängt an einem Fleischerhaken und gehört natürlich nicht Maria, sondern einem Mordopfer, dessen restliche Teile es nun aufzuspüren gilt. Zungen an der Nelda ist eine fiktive Kleinstadt an der bayerisch-tschechischen Grenze, die Heidenreich mit allen Attributen des traulich-sinistren Provinztatorts ausgestattet und im ersten Band der Reihe mit einer hübschen Namenssymbolik versehen hat: Dort bemerkt Alexander Swoboda, das Städtchen sei "ein fettes Chamäleon", das jeden, der das Weite suchen wolle, mit seiner klebrigen Zunge zurückhole.

Im zweiten Band ("Das Fest der Fliegen") kommt er allerdings ziemlich weit herum, schnüffelt in Schottland und in Frankreichs Norden. Diesmal klebt er wieder in Zungen, wo er für das erwähnte Gotteshaus ein neues Kirchenfenster gestaltet und sich in die Ermittlungsarbeit nur noch beratend einmischt.

Deutsche Provinznester haben nicht nur jenen Klebefaktor, sondern oft auch Leichen im Keller, will sagen: ungute Geheimnisse, deren Wurzeln in die finsterste Phase des vorigen Jahrhunderts zurückreichen. Das war schon beim ersten Fall die moralische Folie, vor der sich die aktuelle Verbrechensaufklärung abspielte, und sie ist es auch diesmal.

Bei der Suche nach einem Frauenmörder, der seinen Opfern stets den Kopf vom Halse trennt, stoßen die Ermittler auf ein Gerippe aus dem Zweiten Weltkrieg und auf schlimme Verstrickungen einer ortsansässigen Unternehmerfamilie. Diese Konstellation gibt Gelegenheit, ein Kapitel im fernen Afrika spielen zu lassen, bevor die Zunge des Chamäleons den Plot wieder an die Nelda holt.

Nur mit ausgegrabenen Nazidelikten, das weiß auch Heidenreich, lässt sich das heutige Publikum schwer gewinnen. Also müssen Übeltäter aus jüngeren Generationen her. Leider neigt der Autor zu einer gewissen Monotonie, was deren Motivlage betrifft. Es will ihm dazu nichts anderes einfallen als: Wahn, Wahn, überall Wahn. War es bei Swobodas erstem Kasus ein wahnhafter Rachefeldzug, der den Serienkiller antrieb, liquidierte im zweiten Roman eine fanatisch katholische Bruderschaft fortschrittlich denkende Bürger, um die Welt zu retten.

Nun, in "Mein ist der Tod", ist der Mörder von der Wahnidee besessen, immer dieselbe bedrohliche Frau zu enthaupten, deren Kopf dann, nach dem Hydra-Prinzip, auf einem anderen Rumpf nachwächst. Teil solcher Wahnsysteme ist meist der Drang, sich zu offenbaren.

Diskrepanz zwischen intellektueller Note und krassen Tatschilderungen

Hier lockt der Unhold die Verfolger mit selbst gemachten Computerspielen und Zitaten aus Dantes "Göttlicher Komödie" auf seine Fährte. Diese intellektuelle Note spricht indes, wie die feinsinnige Farben-Ästhetik des malenden Exkommissars, ein ganz anderes Publikum an als die krass unappetitlichen Tatschilderungen - eine Diskrepanz, die Leser kosten könnte.

Ein echter Fauxpas aber ist es, Tagebuchnotizen des Täters einzuschieben, die ihn früh entlarven, und nach zwei Buchdritteln praktisch alles zu verraten. Das kränkt den Krimi-Gourmet, der sonst gern weiter auf Swobodas Spuren gewandelt wäre. Schon deshalb, weil der am Ende der Klebezunge entkommt und sich in der Normandie niederlässt, einer Gegend, in der Kommissare traditionell immer schon eine gute Figur gemacht haben.

Gert Heidenreich: Mein ist der Tod. Roman. Verlag Langen Müller, München 2012. 327 S., 19,99 Euro.

© SZ vom 12.07.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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