Neue Ausstellung:Aufregend grau

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Die aktuelle Schau im Kunstpalast Düsseldorf umfasst sieben Jahrhunderte. Was zunächst recht eintönig wirken mag, ist in Wirklichkeit enorm vielfältig.

Von Sandra Danicke

Zu behaupten, die Ausstellung sei über weite Strecken doch recht eintönig, ist in diesem Fall ausnahmsweise kein vernichtendes Urteil. Farbe spielt bei "Black & White" kaum eine Rolle. Die meisten Werke, die hier zu sehen sind, sind schwarz, weiß oder grau. Und wer hätte geahnt, wie aufregend das vermeintlich langweilige Grau sein kann! Auch wenn man sich im ersten Moment an einen Fernseher erinnert fühlen mag, bei dem jemand die Farbwerte herausgenommen hat.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass hier ausschließlich Bilder gezeigt werden; meistens handelt es sich um Malerei, eine Technik also, die man zuallererst mit Farbigkeit assoziiert. Welchem Zweck die frühe Schwarz-Weiß-Malerei diente, dass sie meist nicht zur Imitation von Natur eingesetzt wurde, sondern zur illusionistischen Nachahmung anderer Techniken wie Bildhauerei, Druckgrafik und Fotografie, zeigt die Schau anhand vieler Beispiele.

Die beiden grauen Heiligen etwa, die Hans Memling um 1478 auf die Flügelrückseiten des sogenannten Donne-Triptychons malte, sehen aus wie steinerne Skulpturen. Die Grisaille-Figuren des heiligen Christophorus und des heiligen Antonius scheinen jeweils in einer Nische auf einem Sockel zu stehen und werfen dunkle Schatten. Im Mittelalter wurden die Außenseiten von Flügelaltären in der Regel farblich zurückhaltend gestaltet, um den Kontrast zum farbigen Mittelteil zu vergrößern - ein Trend, der in den Niederlanden erfunden wurde und zur stillen Andacht außerhalb der Festtage gedacht war.

Dass der Verzicht auf Buntheit in den meisten Fällen ernsthaft, streng und verhalten wirkt, war den Grisaille-Malern nur recht. Schließlich hatten die frühesten farblosen Bilder fast immer religiöse Funktionen. Reduktion dient hier als Mittel zur Konzentration auf das Wesentliche. Das lässt sich so ähnlich auch über - ebenfalls unbunte - Studien und Vorzeichnungen sagen. Etwa über die zauberhafte Gewandstudie, die Albrecht Dürer 1521 mit Pinsel und schwarzer Tusche mit Weißhöhungen auf grau-violettem Papier gemalt hat.

Das früheste bekannte monochrome Tafelbild ist womöglich Jan van Eycks 1437 entstandene "Hl. Barbara", die anmutig vor einem gotischen Kirchturm thront. Wobei nicht ganz klar ist, ob es sich bei der delikaten Zeichnung mit Metallstift, Tusche und Ölfarbe nicht doch um ein unfertiges Gemälde handelt. Dagegen spricht allerdings, dass die feinen Schraffuren auf dem Bild viel aufwendiger gestaltet sind, als das bei Unterzeichnungen damals üblich war.

"Helga Matura mit Verlobtem" von Gerhard Richter, 1966. (Foto: © Gerhard Richter 2018 (21082017); Museum Kunstpalast - ARTOTHEK)

Im 16. Jahrhundert kamen Grisaille-Malereien dann auch jenseits religiöser Motive in Mode. Ein bemerkenswertes Beispiel ist "Venus, Ceres und Bacchus" von Hendrik Goltzius: Verführerisch sitzen die drei mythischen Gestalten auf einem Himmelbett, und man staunt wie es dem Künstler gelungen ist, allein mit Grautönen ein nuanciertes Licht-und Schattenspiel auf die überraschend plastischen Körper zu zaubern. Goltzius hat überdies zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine neue Kunstgattung erfunden, die heute als Federmalerei bekannt ist. Hierfür hat er eigene Stiche mit Feder und Tusche auf Leinwand imitiert, sodass man sie fast für Drucke hält.

Fast zweihundert Jahre später gelang Louis-Léopold Boilly mit seinem Gemälde "Mädchen am Fenster" ein verblüffender Trompe-l'œil-Effekt. Das Mädchen, das mit zwei Teleskopen und Goldfischglas auf einer Fensterbank sitzt, wirkt wie eine Mischung aus Druckgrafik und Steinskulptur. Auch bereits existierende Farb-Gemälde wurden zuweilen in einer zweiten, farblosen Fassung produziert. Das bekannteste Beispiel ist Jean-Auguste-Dominique Ingres' um 1824 - 34 gemalte "Odaliske in Grisaille". Nicht nur Größe und Farbigkeit sind im Vergleich zur Ursprungsfassung reduziert, der Maler hat hier auch auf Details und Accessoires verzichtet und so einen Grad von Abstraktion erzeugt, der die anmutige Nackte aus ihrem einstigen Zusammenhang als Konkubine eines Harems befreit. Sinnlichkeit, so zeigt dieses Werk, ist nicht zwangsläufig an Farbe gekoppelt.

Eine konträre Wirkung erzielt das von Eugène Carrière um 1896/97 gemalte Ölbild "Mutterschaft (Leiden)", das lediglich einen verschwommenen Eindruck einer ihr Kind im Arm haltenden Mutter wiedergibt. Dem Künstler ging es offenbar nicht darum, seine technische Versiertheit zur Schau zu stellen. Er wollte ein adäquates Abbild seelischen Leids schaffen - das bräunliche Grau wirkt hier nicht edel, sondern trostlos und deprimierend.

Mit der Erfindung der Schwarz-Weiß-Fotografie im 19. Jahrhundert entstanden auch für die Maler neue Herausforderungen und Inspirationen. Das monochrome "Porträt eines jungen Mädchens" (1867) des Franzosen Célestin Joseph Blanc etwa ist dermaßen detailliert und nuancenreich gemalt, dass man es auf den ersten Blick für ein Foto halten könnte. Der Verweis auf das Medium Fotografie ist auch bei Gerhard Richters 1966 gemaltem Bild von "Helga Matura mit Verlobtem" deutlich. Abgebildet ist eine Prostituierte, die brutal ermordet wurde - eine Geschichte, die von den Medien damals ausgeschlachtet wurde. Richters Bild verweist auf ein Foto, das in der Illustrierten Quick abgebildet war. Dadurch dass der Maler die Oberfläche verwischt hat, wirkt das Bild verschwommen, als handele es sich um ein erinnertes Bild. Zugleich schafft es eine Distanz zur vermeintlichen Objektivität, die man der Fotografie damals noch nachsagte. Immer wieder verwendete der Künstler Fotografien aus Zeitungen, Zeitschriften oder private Schnappschüsse als Vorlagen für Gemälde, denn für ihn war ein Foto "das perfekteste Bild; es ändert sich nicht, es ist absolut, also unabhängig, unbedingt, ohne Stil", notierte der Künstler damals.

Auch die Amerikanerin Vija Celmins begann in den Sechzigerjahren Fotografien als Quellenmaterial für ihre Gemälde zu nutzen. Ihr Bild "Nachthimmel Nr.3" von 1991 zeigt eine schwarze Fläche, die von unzähligen weißen Punkten - den Sternen - übersät ist. Es ist ein überwältigendes Bild. Das Werk gehört zu einer Serie, die Celmins jahrzehntelang fortführte und für die sie amerikanische und russische Satellitenfotos als Vorlagen verwendete. Ihre äußerst aufwendige Technik - sie trägt mehrere Schichten Pigmente auf, wobei sie jede davon abschleift, bevor sie die nächste hinzufügt - führt zu einem bemerkenswerten Effekt: Ob es sich um ein Foto oder ein Gemälde handelt, ist kaum mehr zu erkennen. Als Betrachter erhält man eine Ahnung von Unendlichkeit, man fühlt sich als Teil des Universums. Und das ohne jeglichen Einsatz von Farbe.

© SZ vom 20.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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