Netznachrichten:Daten gegen Goliath

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Die Formel, die das Internet zusammenhält, lässt sich zusammenfassen als Tausch von persönlichen Daten gegen Informationen.

Von Michael Moorstedt

Die Formel, die das Internet am Laufen hält, lässt sich ganz einfach zusammenfassen. Sie lautet: Persönliche Daten gegen Informationen. An jeder Ecke warten Werbenetzwerke darauf, diesen Tauschhandel zu vollziehen, und für den Normalo-Nutzer ist es inzwischen so gut wie unmöglich, ihrem Zugriff zu entkommen. Zu hartnäckig sind die Informationsschnipsel, die sich auf seinen Geräten einnisten und die jedes seiner vermeintlichen Bedürfnisse speichern. Jede Seite, die man besucht, jede Suchanfrage, die man stellt, führt dazu, dass die Werbenetzwerke noch besser über den Nutzer Bescheid wissen. Doch bislang blieb ihm nichts anders übrig, als zu resignieren - und weiterzuklicken.

Finn Brunton und Helen Nissenbaum glauben, wenn nicht schon einen Ausweg aus dem Ganzen, dann doch zumindest ein Gegenmittel für den Einzelnen gefunden zu haben. Obfuskation nennen sie ihre Idee einigermaßen umständlich. Vernebeln steht hinter dem Wort im Wörterbuch. Damit meinen Brunton und Nissenbaum aber das "absichtliche Hinzufügen von mehrdeutigen und irreführenden Informationen, um Überwachung und Datensammelei zu stören".

"Obfuscation - A User's Guide for Privacy and Protest" heißt ihr gerade erschienenes Buch. Die Autoren lehren an der New York University, und um den Menschen zu helfen, der "Daten-Tyrannei" zu entkommen, schreiben Brunton und Nissenbaum nicht nur Bücher, sondern auch Programme. Dazu gehört etwa die Browser-Erweiterung TrackMeNot. Ist sie aktiviert, stellt sie in regelmäßigen Abständen selbständig zufällige Anfragen bei allen gängigen Suchmaschinen. Im Hintergrund, sodass der Nutzer gar nichts davon mitbekommt. So werde es den Datensammlern erschwert, ein kohärentes Profil des Nutzers zu erstellen.

Ein Tipp: auf Facebook willkürlich nach Personen suchen, so ist der Freundeskreis nicht eindeutig

Ein anderes, neueres Miniprogramm namens AdNauseam funktioniert ähnlich, wenn auch etwas brachialer. Wenn die Software dem eigenen Browser hinzugefügt wird, klickt sie selbständig auf sämtliche Werbebanner und Pop-up-Anzeigen, die dem Nutzer auf seinem Weg durch das Netz so begegnen. Der Sinn darin ist aber der gleiche. Es geht um die Produktion von möglichst vielen Störsignalen. Der amerikanische Technik-Kolumnist Clive Thompson zieht den recht martialischen Vergleich mit den Radar-Täuschkörpern, die von Flugzeugen abgeworfen werden, um einem Raketenbeschuss zu entgehen.

Man kann das Spiel mit den falschen Spuren natürlich auch noch ausweiten - und benötigt dafür nicht einmal spezielle Software. Der Sicherheitsexperte Bruce Schneier etwa gibt in seinem Buch "Data and Goliath" den Tipp, auf Facebook willkürlich nach Personen zu suchen. So könnte man das Netzwerk zumindest ein wenig in die Irre führen, weil sich der Freundeskreis nicht mehr eindeutig zuordnen lässt. Schneier rät auch, mit Bekannten die Bonuspunktekarten zu tauschen, um seine Konsumgewohnheiten zu verschleiern.

All das klingt zunächst ein bisschen verzweifelt, doch Obfuskation ist ein nettes Mittel für den Nutzer, der sich im asymmetrischen Konflikt mit multinationalen Konzernen wie Google oder Facebook immer im Nachteil sieht. Für Brunton und Nissenbaum besteht der Charme der Praktik vor allem darin, dass für sie "keine ausgefeilte Technologie eingesetzt werden oder alle Nutzer gleichzeitig mitziehen müssen". Und weil sie die eine kleine, aber inhärente Schwäche der Gegenspieler ausnutzt - deren unstillbaren Hunger nach Daten.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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