Netzkolumne:Geld gegen Wahrheit

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Es gibt wieder mal einen neuen Trend im digitalen Leben, der alles andere in den Schatten stellt: Blockchain. Auf der Idee, die dahintersteckt, basiert zum Beispiel die Kryptowährung Bitcoin. Auch eine Enzyklopädie macht sich das Prinzip zu eigen.

Von Michael Moorstedt

In schöner Regelmäßigkeit gibt es in der digitalen Welt einen Trend, der alles überstrahlt. Momentan ist das die sogenannte Blockchain, jene Technologie, auf der auch die Kryptowährung Bitcoin basiert. Glaubt man den Verlautbarungen der Branchen-Blogs, wird diese Blockchain so gut wie alles revolutionieren: vom Gesundheits- und Finanzwesen über legales Marihuana bis hin zu Fischerei-Lieferketten.

Im Grunde handelt es sich bei der Blockchain um ein dezentrales verschlüsseltes Buchungssystem, mit dem Transaktionen egal welcher Art abgewickelt werden können. Selten hat sich die Basis so vieler Heilsversprechungen so trocken angehört. Dass die Begeisterung trotzdem ein bisschen aus dem Ruder läuft, konnte man spätestens vor wenigen Wochen beobachten. Da reichte es aus, dass ein Eistee-Fabrikant das Wörtchen in seinen Firmennamen aufnahm - schon stieg dessen Aktienkurs um 500 Prozent. Es erinnert ein wenig an das "Uber for X"-Phänomen, das vor ein paar Jahren grassierte, als der Fahrdienstvermittler noch nicht das Sorgenkind, sondern der Shootingstar des Silicon Valley war: Findige Start-up-Gründer nutzen einen Hype, um ihre eigenen mehr oder weniger ausgegorenen Ideen zu vermarkten.

Für Lexikonartikel gibt es Wertmarken in der hauseigenen Blockchain-Währung

Wenn jetzt also das nächste Tech-Unternehmen auf einmal ankündigt, sein Kerngeschäft auf die Blockchain umzustellen, ist wohlwollende Zurückhaltung durchaus berechtigt. Everipedia will die "Online-Enzyklopädie der Zukunft" und deshalb vor allem zugänglicher für ein jüngeres Publikum sein. Auf den ersten Blick verwirklicht man das durch mehr lustige Gif-Animationen sowie Emojis in den Artikeln und die Tatsache, dass hier auch Social-Media-Seiten als Quelle durchgehen. So möchte man die Probleme umgehen, die die große Wikipedia plagen. Da ist zum einen ein geringer, aber steter Schwund an Lesern und freiwilligen Autoren, der zum anderen wiederum einen gewissen Elitarismus bedingt. Das bedeutet: Es wird schnell und gerne gelöscht, wenn nur ein kleiner homogener Kreis bestimmt, welche Themen relevant sind und welche nicht.

Außerdem soll eben auch Blockchain-Technik für noch mehr Zukunftsfähigkeit sorgen. Dabei ist die Everipedia schon jetzt ein veritabler Wissenshort. Die Seite existiert bereits seit 2014, eigenen Angaben zufolge hat man drei Millionen Nutzer pro Monat und mehr als sechs Millionen Artikel in der englischsprachigen Version und damit mehr als das große Vorbild. Ein Vorteil besteht in der verteilten Natur der Blockchain, die nicht über zentrale Server läuft, die Everipedia wäre deshalb sehr viel schwieriger zu zensieren oder zu blockieren als das Original, das in Ländern wie China, Iran oder der Türkei nicht zugänglich ist.

Ein Wissensmarktplatz wolle man zudem sein, sagt Co-Chef Larry Sanger, der auch schon das große Vorbild mitentwickelt hat. Man nimmt das durchaus wörtlich: Wer Lexikonartikel schreibt oder ändert, bekommt Wertmarken in Form einer hauseigenen Kryptowährung. Man schafft also einen finanziellen Anreiz zur Wissensvermehrung, jeder Nutzer hat auf einmal ein persönliches Interesse daran, dass das Lexikon so erfolgreich - und damit so groß und zuverlässig - wie möglich ist. Vielleicht ist die Gleichung Geld gegen Wahrheit eine Lösung in einer Zeit von virulenten Fake News, die nach den jüngsten Anschlägen oder Amokläufen immer auch Niederschlag in der Wikipedia finden.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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