Nachruf:Wie eine Fliege an der Wand

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Mit einem Zufallsbild des Gangsters John Dillinger begann seine Laufbahn. In Vietnam wurde er zum ausgesprochenen Pazifisten. Der Kriegsfotograf, Picasso-Freund und Abenteurer Douglas David Duncan ist tot.

Von Alex Rühle

Eigentlich studierte er 1934 ja Archäologie in Tucson. Aber dann brannte ein Hotel in der Stadt ab. Seine Schwester hatte ihm gerade eine Fotokamera zum 18. Geburtstag geschenkt, er stürzte auf die Straße und machte Fotos von den flüchtenden Hotelgästen. Zufällig lichtete er dabei einen Mann ab, der einen Koffer aus dem Feuer zu retten versuchte. Es war der Bankräuber John Dillinger, der meistgesuchte Mann Amerikas und Staatsfeind Nummer eins, und in dem Koffer war das Geld des letzten Überfalls.

Perfekte Anekdote über David Douglas Duncan, zumal sie niemand überprüfen kann: Das Dillinger-Bild überreichte Duncan angeblich am nächsten Morgen der lokalen Zeitung, die es dann verschmiss. Aber die Geschichte ist symptomatisch für Duncans fotografischen Instinkt, seinen Mut und seine Abenteuerlust.

Drei Kriege hat Duncan mitgemacht, den ersten noch als Soldat. Als Fotograf der Marines fotografierte er im Zweiten Weltkrieg seine Kameraden an der Pazifikfront. Die Fotos von der Erstürmung Okinawas waren so beeindruckend, dass ihn die Zeitschrift Life direkt nach dem Krieg anstellte. Das Bewerbungsgespräch führte er angeblich noch in Uniform. Er fuhr dann nach Afrika und Osteuropa, durchquerte Indien, als die Briten gerade abzogen, dokumentierte, wie in Saudi-Arabien die ersten Bohrtürme in den Wüstensand gestellt wurden, und war gerade in Japan, als der Koreakrieg ausbrach. "This is War!", sein erstes Buch über die Kämpfe in Korea, das 1951 erschien, nannte der Fotograf Edward Steichen "das größte Buch mit Kriegsfotografien, das je gemacht wurde".

Duncan inszenierte auf diesen Fotos keine martialischen Helden, sondern zeigte vom Weinen ausgewrungene Gesichter, schief sitzende Helme, unrasierte Wangen, junge Männer, die im Schlamm hocken und ratlos vor sich hinstarren. Man sieht dem Soldaten, der neben einem länglichen Sack sitzt, aus dem bestiefelte Füße schauen, sein Wissen an, dass genauso gut er jetzt unter dieser Plane liegen könnte. "Ich hatte nie das Gefühl, eine Mission zu haben als Kriegsfotograf", sagte Duncan mehr als 50 Jahre später in einem Interview. "Ich dachte nur, dass all diese Soldaten es verdienen, so fotografiert zu werden, wie sie sind, ob sie nun gerade verängstigt weglaufen, Mut beweisen, sich in einem Loch verstecken oder lachen."

Im Vietnamkrieg hatte er dann sehr wohl eine Mission. Er gab die Rolle des neutralen Berichterstatters auf und wurde zum ausgesprochenen Kriegsgegner. Sein erstes Buch von den dortigen Kämpfen nannte er 1968 "I Protest!" und brachte es als Taschenbuch für einen Dollar heraus. 250 000 Exemplare verkauften sich. Duncans wütende Fotos unterfütterten die Antikriegsproteste.

"DDD" war aber zugleich auch einer der letzten Vertreter dieser Hemingway'schen Heldenspezies, die die Welt als faszinierenden Abenteuerspielplatz sehen. Er war Tiefseetaucher und Hochseefischer, und fuhr mit einem Mercedes mit James-Bond-artigen Flügeltüren 400 000 Kilometer durch damals noch wirklich ferne Kontinente, um den staunenden Lesern daheim Bilder aus abenteuerlich fremden Kulturen zu bringen. Nikita Chruschtschow persönlich soll ihm die Schatzkammern des Kreml geöffnet haben. Duncan konnte aber auch mal für ein paar Wochen irgendwo in Afghanistan verloren gehen.

Seit den Sechzigerjahren lebte er an der Cote d'Azur und entwickelte eine so enge Freundschaft zu Pablo Picasso, dass er ganze Monate in dessen Künstlervilla verbrachte und insgesamt sieben Bücher über ihn machte. Auf die Frage, wie er so osmotisch in den Picasso-Kosmos habe hineinwachsen können, dass der sogar in Unterhose vor ihm herumtanzte, erklärte er einmal, er habe auf einer Japanreise seine Kamera so umgebaut, dass sie keine Geräusche mehr mache. "So war ich die Fliege an der Wand seines Ateliers."

Duncans Bilder umspannen acht Jahrzehnte. "Es schien alles so natürlich", schrieb er 2003 in "Photo Nomad" über sein Arbeiten, "so einfach - du musst es nur sehen, scharf stellen und abdrücken." Am vergangenen Donnerstag starb David Douglas Duncan im Alter von 102 Jahren im südfranzösischen Grasse.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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