Nachruf:Nachbarn, Bürger, Bürgermeister

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Benjamin R. Barber, geboren 1939 in New York, wurde als Professor der University of Maryland zu einem der einflussreichsten Politikwissenschaftler der USA. (Foto: John Foley/Opale/dpa)

Er wollte eine "starke" Demokratie, einen globalen Lokalismus: Zum Tod des Politologen Benjamin Barber.

Von Jens-Christian Rabe

Wirklich etablieren konnte sich auf dieser Seite des Atlantiks das politische Denken, das unter dem Begriff "Kommunitarismus" zusammengefasst wird, bislang noch immer nicht. Seine profiliertesten Vertreter, Charles Taylor etwa, Amitai Etzioni, Michael Sandel, Alasdair MacIntyre oder Michael Walzer, sind für sich als Intellektuelle und Autoren in Europa zwar durchaus gut bekannt, die gemeinsame Wurzel ihres Denkens spielt jedoch kaum eine Rolle. Womöglich, weil schon die Diskussion, aus der heraus sich Anfang der Achtzigerjahre der Kommunitarismus entwickelte, sehr amerikanisch war. Es ging um eine Kritik am abstrakten Liberalismus des damals in den USA tonangebenden politischen Philosophen John Rawls, der im Angesicht des Pluralismus nach universell gültigen Gerechtigkeitsgrundsätzen suchte. Die Kommunitaristen waren dagegen der Ansicht, dass eine wirklich gerechte Ordnung nur konzipierbar ist, wenn man berücksichtigt, was die jeweils betroffene Gemeinschaft konkret ausmacht, sprachlich, ethisch und ethnisch, kulturell und religiös.

Der spätestens nach seinem 1995 erschienenen Bestseller "Jihad vs. MacWorld" ("Coca Cola und Heiliger Krieg - Der grundlegende Konflikt unserer Zeit") berühmteste Kommunitarist war sicher der New Yorker Politikwissenschaftler und Berater der Clinton-Regierung, Benjamin Barber. Als rousseauistischer Demokratie- und Kapitalismuskritiker vertrat er in schwungvollen Büchern wie "Strong Democracy" oder "An Aristocracy of Everyone" etwas, das angesichts der Erfolge finsterer nationalistischer Populisten heute dringender denn je erscheint: eine Art pragmatisch-humanistischen Lokalismus. In Abgrenzung zur "mageren" liberalen Demokratie, die die Bürger in ihrer Sehnsucht nach mehr Gemeinschaftlichkeit allein lasse, in Abgrenzung aber auch zur ethnisch allzu homogenen "Einheitsdemokratie" wollte Barber die "starke" Demokratie, in der die Bürger nicht nur "Rechtspersonen" wären, aber auch kein "Brüder"sein müsste: sondern Nachbarn.

Er wollte eine "starke" Demokratie, in der Bürger mehr als Rechtspersonen sind

2013 erschien, ganz in diesem Sinn, das Buch "If Mayors Ruled the World: Dysfunctional Nations, Rising Cities", in dem er den Bürgermeister zum idealen Problemlöser der Gegenwart erklärte. Und erst am 18. April dieses Jahres veröffentliche die Yale University Press sein nun letztes Buch "Cool Cities - Urban Sovereignty and the Fix for Global Warming". Darin entfaltet er die Idee, dass auch in der Frage der Bekämpfung des Klimawandels nicht Nationalstaaten, sondern die Städte vorangehen müssten. Sein letzter Tweet vom 3. April zeigt ihn herzhaft lachend auf dem Sofa sitzend im Gespräch mit Journalisten - es ging, so der Kommentar zum Bild, um die globale Bedeutung der Städte und die Wichtigkeit lokalen Widerstands gegen Donald Trump.

Erst im vergangenen Jahr hatte Barber die Initiative "Global Parliament of Mayors" ins Leben gerufen, zu der er im November im Interview mit der Zeit gesagt hatte, dass er damit erreichen wolle, "dass die Probleme dort gelöst werden, wo sie auftreten - auf lokaler Ebene". Bürgermeister seien sehr pragmatisch, und das Vertrauen in sie sei praktisch überall auf der Welt höher als das Vertrauen in die jeweilige nationale Regierung. Das passte genau zu dem Kommunitarismus, den Barber vertrat: "Einen Bürgermeister nimmt man als Nachbarn wahr und nicht als abgehobenen Vertreter einer politischen Klasse."

Am Montag ist Benjamin R. Barber in Manhattan nach viermonatigem Kampf gegen eine Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung gestorben. Er wurde 77 Jahre alt.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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