Nachruf Michael Ballhaus:Kreisel

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Michael Ballhaus, 2001. (Foto: Bernd Settnik/dpa)

Er hat die Filme von Fassbinder und Scorsese mitgestaltet. Hat den Ballhaus-Kreisel erfunden. Auch Sigmar Gabriel war davon beeindruckt. Und möchte sich revanchieren.

Von Julian Dörr

Alles beginnt mit einem Handschlag, Geldschein und Autoschlüssel wechseln den Besitzer, die Musik setzt ein. Dann schwenkt die Kamera nach oben, wir sehen den Möchtegern-Mafioso Henry Hill und sein Date für diesen Abend. Und es beginnt eine der schönsten Kamerafahrten der Filmgeschichte. Ach was, es ist eine der schönsten Szenen des Kinos überhaupt.

Gemeinsam überqueren die beiden die Straße, steigen die Treppen hinab in den Nachtclub Copacabana. Und die Kamera folgt ihnen. Durch die engen, verwinkelten Gänge, vorbei am Türsteher, an ungeduldig wartenden Gästen und gestressten Kellnern, durch die Küche und mitten hinein in den Club. Drei Minuten und drei Sekunden lang, eine einzige fließende Bewegung, keine Schnitte.

Michael Ballhaus, der große Kameramann, der am Mittwoch im Alter von 81 Jahren gestorben ist, hat diese berühmte Plansequenz fotografiert, für Martin Scorseses Gangster-Epos "Goodfellas". Nur acht Takes hat er dafür gebraucht, acht Versuche. "Ich hatte keine Ahnung, was wir da gerade drehten", erinnert sich die Schauspielerin Lorraine Bracco, die in dieser Szene Henry Hills Date und zukünftige Frau Karen spielt. "Ich hatte noch nie zuvor eine Steadycam gesehen."

Eine Kamera, die mithilfe einer Tragweste und eines Gelenkarms vor dem Körper des Kameramanns schwebt. Ebenso frei und beweglich wie eine Handkamera, aber nicht so verwackelt. Ebenso elegant wie eine Kamerafahrt auf Schienen, aber nicht so eingeschränkt.

Michael Ballhaus hat die Kamera zwar nicht befreit, das waren andere Filmpioniere in den Jahrzehnten vor ihm, aber er hat ihr das Tanzen beigebracht. Die Kamera dreht sich. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ein dreifacher Ballhaus-Kreisel. Als junger Mann durfte Ballhaus Max Ophüls bei den Dreharbeiten zu "Lola Montez" über die Schulter schauen. Die "kreisende Kamera" des großen Regisseurs faszinierte ihn. Sie sollte Ballhaus' Markenzeichen werden. Für Rainer Werner Fassbinder, mit dem er viele Jahre als Kameramann arbeitete, filmte er in "Martha" 1974 zum ersten Mal in einer 360-Grad-Kamerafahrt um die Darsteller herum, Margit Carstensen und Karlheinz Böhm - der "Ballhaus-Kreisel". Eine Kunst, in der sich der Kameramann bald nur noch selbst übertreffen konnte. In "After Hours", 1985, seiner ersten Zusammenarbeit mit Scorsese, lässt Ballhaus gleich in den allerersten Sekunden die Kamera quer durch das ganze Großraumbüro des frustrierten Programmierers Paul Hackett fliegen. Eine Bewegung, die er anderthalb Stunden und einen kafkaesken Trip durch die New Yorker Nacht später, in der letzten Szene des Films wieder aufgreift. Paul sitzt in den frühen Morgenstunden wieder an seinem Platz. Zu klassischer Musik gleitet die Kamera durch das Büro, sie dreht sich um Paul, sie dreht sich um sich selbst. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Ein Jahr später realisieren Ballhaus und Scorsese den Billardspielerfilm "Die Farbe des Geldes". "Es gibt wohl keinen Scorsese-Film, in dem sich die Kamera so elegant bewegt", wird der Kulturkritiker Georg Seeßlen später schreiben, "und immer wieder nimmt sie die Bewegung der Protagonisten selber auf, die arrogante Vitalität von Tom Cruise, oder die gelassene Grandezza Paul Newmans."

Die enge Verbundenheit von Ballhaus und Scorsese und wie sie kleine Geschichten eines großen Landes und Volkes produzierte, hat auch den Politiker Sigmar Gabriel beeindruckt. Um die Verbundenheit mit diesem Volk seinerseits zu fördern, hat der Außenminister, betroffen vom Tode Ballhaus', ein Michael-Ballhaus-Stipendium in Los Angeles angekündigt.

Der künstlerische Höhepunkt der Ballhaus-Scorsese-Zusammenarbeit ist natürlich "Goodfellas", 1990, die berühmte Szene aus dem Nachtclub Copacabana. Hier verbindet sich die Ästhetik des Kameramanns Ballhaus mit der Erzählkraft des Regisseurs Scorsese. Die Männer in Scorseses Filmen sind Getriebene, unfertige Möchtegern-Kriminelle, die durch ihr Leben treiben wie Ballhaus' Kamera durch den filmischen Raum. Sie umschwärmt diese Männer, die unbedingt etwas sein wollen, aber nichts sein können. Als Henry Hill die Treppen in den Nachtclub hinabsteigt und die Kamera mit ihm, beginnt der Sog. Die Kamera zieht uns in diese Welt, lässt uns sanft die Gänge entlanggleiten, in den Glamour des Clubs. Das ist die Welt, in die es Henry Hill drängt. Eine Welt, in der er endlich jemand ist. In der er mit den hübschesten Frauen ausgeht und in der die Kellner ihn hofieren. Eine Welt, in der sich alle Türen für ihn öffnen. Was wir sehen, ist der Traum eines Mannes. Und diesen Traum tanzt Ballhaus' Kamera.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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