Nachruf:Meister des Krimskrams

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Gespür für Zeit und Geschwindigkeit - Hermann Zapf im Jahr 1998. (Foto: dpa)

Hermann Zapf, der große Schriftgestalter, ist tot. Er war der Zukunft immer voraus. Auch der elektronischen.

Von Ulf Erdmann Ziegler

Unter den Schriftgestaltern des 20. Jahrhunderts war Hermann Zapf eine extreme Figur. Als Retouche-Lehrling in Nürnberg entdeckte er Rudolf Kochs Buch "Das Schreiben als Kunstfertigkeit" und studierte Johann Neudörffers Schriften aus dem 16. Jahrhundert - und ein flüchtiger Blick in den Werkkatalog könnte die Vorstellung nahelegen, er wäre altertümlich und rückwärtsgewandt gewesen. Tatsächlich aber gehörte er zu den wenigen Typografen, die schon in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wussten, dass der elektronische Zugriff auf Schriften und ihre digitalisierte Streuung die große Herausforderung seiner Generation sein würde, und auch der Generationen nach ihm. Er wurde damit anfangs nicht ganz ernst genommen.

Ab 1977 pendelte er für eine Dekade zwischen Darmstadt und Rochester. Dort, am Rochester Institute of Technology, wurde eine erste Professur für computergestützte Typografie eingerichtet, und der bescheidene Herr aus Deutschland, schon fast sechzig, nahm sie an. Es ging um nicht weniger, als alle verfügbaren Traditionen, Kenntnisse und Kniffe des typografischen Fachs für die Zukunft zu retten, also für Computerbenutzer und Schriftlaien verfügbar und zugleich unverwüstlich zu machen. Im gleichen Jahr gründete er mit Aaron Burns und Herb Lubalin eine Firma in New York, die sich ähnliche Ziele auf kommerzieller Basis setzte. Weitsichtig war er gewiss: Seine exzentrische, mit programmierten Varianten bestückte Schmuckschrift Zapfino Extra wurde 2001 von Apple erworben und von Akira Kobayashi digitalisiert. Zapf war jetzt schon über achtzig und ließ sich jeden Tag etwas einfallen.

1949 entwarf er die Palatino, eine lebendige Serifenschrift - bis heute allgegenwärtig

Ein langes professionelles Leben war der Ausgleich für einen langsamen Start. Er wurde am 8. November 1918 in Nürnberg geboren, hatte dort Elektrotechnik studieren wollen - aber er war der Sohn eines Gewerkschafters und die Nazis ließen ihn nicht. Als er in Paul Kochs Werkstatt in Offenbach anfing, mit zwanzig, begann er die deutsche Tragödie zu ahnen: die besten Typografen waren 1938 bereits emigriert. Schon bald verbrachte Zapf kostbare Jahre im Krieg, wobei ihn zweierlei vor den Härten der Westfront bewahrte, ein Herzproblem und seine Fähigkeit, gut lesbare Listen zu führen und Karten zu zeichnen. Von den Franzosen aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, ergriff er seine erste Chance und wurde künstlerischer Leiter bei der Stempel AG in Frankfurt am Main, eine ungewöhnliche Berufung für einen Autodidakten. Schon 1949 entwarf er die Palatino, eine lebendige, freundliche, detailbesessene Serifenschrift, wie man sie heute in jedem Word-Programm aufrufen kann. Für Manuskripte ist sie schön, für Briefe ideal. Im Nachkriegsjahrzehnt entstanden die Aldus und die Optima, diese serifenlos.

Alle berühmten Schriften Zapfs haben, mit der Lupe betrachtet, entschiedene Engführungen und Verbreiterungen in jedem Buchstaben, so wie Straßen von oben gesehen: Es gab da ein Gespür für Zeit, ja für Geschwindigkeit. Hermann Zapf war nicht im Geringsten besessen von der Vorstellung, Schrift zu geometrisieren. Er war kein Bilderstürmer des Typohandwerks. Er wusste, was es bedeutet, Schrift in Stein zu meißeln, in Stahl zu schneiden, wusste, wie man einen Griffel führen musste, um auf Papyrus zu schreiben, Handbewegungen, bei denen es um Bruchteile von Millimetern ging. Diese Liebe zum Handwerk sieht man in allen seinen Schriften, die oft gleichzeitig auf unterschiedlichste Quellen zurückgreifen, egal, ob sie ein Jahrzehnt alt waren oder ein Jahrtausend - die Synthetisierung ist der eigentlich kreative Akt. 1978 entstand sein erstes großes Register von Symbolen, die nach dem Krimkrams benannt wurden, für den der Schriftsetzer keinen Namen hatte (Häkchen, Kreuze, Sterne) - auf Englisch "Dingbats". Im Rahmen dieser monströsen Aufgabe erkannte Zapf, dass es nur schadet, sich drängen zu lassen. Er hatte, fand er, zu früh abgeliefert. Fast alle großen Typografen sind Grübler.

Das Interessante an Zapf war, dass er die systemische Herausforderung im Technischen, also letztlich in der digitalen Matrix sah. Der Schweizer Ansatz, das calvinistische Design, nahm sich der Form des Alphabets an mit dem Ziel, diese einer Rosskur zu unterziehen: neue Technik, neue Zeit, neue Schrift. Allein die Idee der Helvetica (beerbt durch die Univers), alle Typoprobleme mit einer Systemschrift lösen zu wollen und damit eine universelle Anwendung zu schaffen, war dem Katholiken aus Nürnberg wesensfremd. Im Gegenteil, die Schmuckschrift gehört in die Grußpostkarte und in die Urkunde; Amts- und Buchschriften waren ihm ein anderes Feld. Er entwarf auch griechische und persische Schriften, sein Engagement reichte bis in unwahrscheinliche Nischen. Die Ehefrau eines Industriellen in Pittsburgh etwa stiftete der Universität eine Sammlung rarer botanischer Bücher. Für den Sammlungskatalog wünschte sie eine spezielle Schrift - Zapf lieferte sie, die Hunt Roman. Er ließ sie dort, als Rarität, für Connaisseure. Er war selbst einer.

Nebenher entwarf er allerhand Signets. Das erste, für den Hanser-Verlag, glich einem asiatischen Stempel, und das für den Suhrkamp-Verlag hatte etwas vom Leichtsinn der Stunde null. Beides hat nicht allzu lang gehalten. Sein kalligrafisches Talent und seine bibliophile Neigung waren vielleicht das sinnliche Refugium, gerichtet gegen frühere Entbehrungen, gegen die Dummheit der Nazis, die Mechanik des Kriegs. Man wird bald sehen, wie sehr die Meister fehlen, die nicht nur das Handwerk konnten, sondern auch wussten, was es historisch bedeutet. Zapf betrieb den Shuttle zwischen Gutenberggalaxis und Silicon Valley, ein Suchender und ein Seher zugleich. Er hinterlässt seine fast gleichaltrige Ehefrau, Gudrun Zapf-von Hesse, die selbst eine wirkungsvolle Typografin ist. Hermann Zapf starb am Donnerstag letzter Woche mit 96 Jahren in Darmstadt, wo er zu Hause war.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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