Nachruf:Intellektureller Wanderarbeiter

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Egon Schwarz lehrte in Harvard und an der Washington University. Er war einer der wichtigsten Vermittler der deutschsprachigen Literatur in den USA. (Foto: Jürgen Bauer/SZ Photo)

Egon Schwarz, einer der wichtigsten Vermittler der deutschsprachigen Literatur in den USA, ist gestorben.

Von Thomas Steinfeld

Im Lebenslauf des amerikanischen Germanisten Egon Schwarz kamen drei Geschichten zusammen. Die erste ist ein Abenteuerroman und handelt davon, wie der Sohn eines jüdischen Kaufmanns im Jahr 1938 Wien verließ und sich zehn Jahre lang als Wanderarbeiter in Südamerika durchschlug, bevor er in die Vereinigten Staaten gelangte und in Ohio Germanistik studieren konnte.

Egon Schwarz erzählt diese Erlebnisse in seiner Biografie "Unfreiwillige Wanderjahre" (1979/2005). Die zweite Geschichte gehört in die historische Soziologie der Wissenschaften: Darin wäre zu berichten, wie die amerikanische Germanistik nach dem Zweiten Weltkrieg, gestützt und beflügelt von zahlreichen Gelehrten, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren, vor allem in den großen Universitäten zu einem intellektuellen Zentrum wurde und weit über die eigene Disziplin ausstrahlte. Über Jahrzehnte stand sie der deutschen Germanistik als zumindest gleichwertig gegenüber.

Egon Schwarz spielte, seitdem er im Jahr 1964 den Band "Verbannung" herausgegeben hatte, eine entscheidende Rolle in dieser Entwicklung, zuerst an der Universität Harvard und dann an der Washington University in St. Louis, wo dieses Fach, auch wegen der vielen deutschen Einwanderer der zweiten und dritten Generation, lange Zeit eine feste Basis besaß.

Die dritte Geschichte schließlich handelt von den wissenschaftlichen und literarischen Neigungen und Errungenschaften eines Wieners im Exil. Egon Schwarz forschte zu Hofmannsthal und Eichendorff, er beschäftigte sich mit Rilke - und durch all seine Werke geht (was in Zeiten der werk-immanenten Interpretation oder des "close readings" durchaus nicht üblich war) ein Zug von lebenspraktischem Realismus. Wenn dann an einer Universität im amerikanischen Mittelwesten das Wien des frühen 20. Jahrhunderts wiedererstand, dann nicht nur als Bild einer vergangenen, glänzenden Epoche der Kultur - sondern auch aus der Perspektive eines Knaben, der noch den Geruch des Teers in der Nase hatte, mit dem die Straße vor dem elterlichen Haus asphaltiert wurde. So kam es, dass Egon Schwarz - der übrigens im herrlichen Deutsch seiner Vorbilder schrieb - am Ende selbst zu einem Forschungsgegenstand wurde. Am vergangenen Wochenende starb dieser bedeutende Literat und Gelehrte im Alter von 93 Jahren in St. Louis.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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