Nachruf:Gigantengeblüt

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Ihr Vater war einer der großen schwarzen Volkshelden der USA. Musikalisch ging Natalie Cole aber lange erfolgreich eigene Wege. Mit 65 Jahren ist sie jetzt gestorben.

Von Andrian Kreye

Dynastische Systeme funktionieren nur selten in der Musik. In der Regel zerbrechen die Kinder an ihren überlebensgroßen Eltern. Natalie Cole war da oberflächlich betrachtet eine Ausnahme, als sie nach ihrer Kindheit und Jugend als Tochter von Nat King Cole mit 25 ihr Debütalbum "Inseparable" veröffentlichte, mit der Single "This Will Be" einen Nummer-eins-Soulhit landete und zwei Grammys bekam.

Der Erfolg war hart erkämpft. Natürlich hatten die Plattenfirmen immer versucht, sie zum Jazzpop ihres Vaters zu bringen. Dabei wollte sie ursprünglich noch gar nichts mit Musik zu tun haben. Sie studierte Kinderpsychologie und Germanistik. Aber dann begann sie nach ihrem Studium ein wenig durch die Clubs zu tingeln. Sie sang Soul und Rock, als ob sie sich beweisen musste, dass sie sich musikalisch von ihrem Vater lossagen könnte.

Es ist heute kaum nachzuvollziehen, was für ein Gigant Nat King Cole gewesen war. In den Vierziger- und Fünfzigerjahren war er ein Meister der neuen Medien, der mit seinem Samtstimmenjazz erst im Radio und dann im Fernsehen Millionen erreichte, während sich seine Zeitgenossen noch in Plattenstudios und auf Tourneen abplagten. Sein Erfolg wäre für sich schon eine Sensation gewesen, darüber hinaus aber war er auch einer der ersten schwarzen Superstars, zu einer Zeit, als sich das weiße Amerika erst sehr langsam daran gewöhnte, dass sich das schwarze Amerika im Zweiten Weltkrieg einen Platz in der Mitte der Gesellschaft erkämpft hatte. Als er sich 1948 in Los Angeles eine Filmstarvilla im weißen Viertel Hancock Park kaufte, fackelte der Ku-Klux-Klan noch ein Kreuz in seinem Vorgarten ab.

Die Mutter war in der Band von Duke Ellington, vom Vater hatte sie das Timbre

Zwei Jahre später wurde Natalie geboren. Und wenn man den ersten Teil ihrer Karriere betrachtet, der mit "Inseparable" begann, wäre sie eigentlich das perfekte Argument gewesen, um jede "Nature vs. Nurture-Debatte" zu beenden. Von ihrem Vater hatte sie die Filmstarschönheit und dieses samtige Timbre in der Stimme geerbt. Die Eltern hatten sie dann auch zur Musik erzogen (ihre Mutter Maria hatte mit der Band von Duke Ellington gesungen). Und vom Umfeld ihrer Kindheit und Jugend zwischen Musikern und Stars hatte sie eine Professionalität im Umgang mit Musik, Showbiz und Ruhm mitbekommen, die sie später so meisterhaft einsetzte. Und sie erbte auch den Instinkt für Erfolg und das Gespür, dass sie auf den Spuren ihres Vaters nur verlieren konnte, der 1965 gestorben war und bis heute als einer der Gründerväter der amerikanischen Popkultur verehrt wird.

Natalie Cole Anfang der Siebziger: Sie interpretierte den Soul als Musik für Glücksgefühle. (Foto: Michael Ochs Archives/Getty Imag)

Stattdessen setzte sie sich ein ganz anderes schier unerreichbares Ziel. In sämtlichen ihrer ersten Interviews beteuerte sie immer wieder ihre große Bewunderung für Aretha Franklin. Die verstand natürlich sofort, dass "Inseparable" eine Herausforderung an sie war. Die Hälfte des Materials bestand sogar aus Stücken, die man Aretha angeboten und die sie abgelehnt hatte. Sich mit so einem Schaukampf als Diva zu profilieren war gewagt. Aber es funktionierte. Die Spannungen zwischen Cole und Franklin schlugen bis in die Regenbogenpresse Funken. Auch wenn sich die beiden musikalisch gewaltig unterschieden.

Als sie "Unforgettable" sang, durchzuckte es die amerikanische Volksseele

Aretha Franklins traditioneller Soul wurzelt tief in der inbrünstigen, emotionalen Katharsis der Gospelkirchen (beim Franklinpreis im Dezember rührte Franklin mit so einer Aufwallungs-Dramaturgie immerhin den Präsidenten von Amerika zu Tränen). Natalie Cole aber gehörte zu einer neuen Schule der Soulsängerinnen, die nicht die Erlösung, sondern die sehr säkulare Beglückung ihres Publikums betrieben. Chaka Khan beherrschte das damals, Patti Labelle und auch Gruppen wie Earth, Wind & Fire. "This Will Be" war ein Paradebeispiel für diesen euphorischen Soul, der so gut in die Charts der Disco-Ära passte, ohne sich dem Underground zu sehr anzunähern.

Acht Alben veröffentlichte Natalie Cole in den nächsten sechs Jahren. Sie kassierte Platin, noch einen Grammy, trat in ihren eigenen Fernsehsendungen auf. Doch dann holte sie das alles ein. Sie beendete ihre Karriere erst mal mit klassischen Superstar-Zusammenbrüchen und diesem ganzen Reha-Klinik- und Interviewbeichten-Zirkus. Es dauerte einige Jahre, bis sie wieder ins Studio und dann auch sehr bald wieder in die Charts kam. Die Songs, die sie da erst einmal veröffentlichte (das Springsteen-Cover "Pink Cadillac", Singles wie "I Live For Your Love" und "Miss You Like Crazy") waren so mittelmäßig, dass sie schnell wieder vergessen waren. Vor allem weil sie sich endlich auf den Deal einließ, auf den die Plattenfirmen so lange gewartet hatten.

1991 veröffentlichte Natalie Cole "Unforgettable With Love", ein Album, auf dem sie zu üppigen Streicher- und Big-Band-Arrangements die Hits ihres Vaters und seiner Zeitgenossen sang - "Mona Lisa", "Nature Boy", "Paper Moon", "Smile", allesamt Songs, die Amerika durch den Krieg und die Wirtschaftswunderjahre begleitet hatten. Da durchzuckte es die amerikanische Volksseele mit wohligem Schauer, als die Tochter des großen Helden all die Songs noch einmal mit einem ganz ähnlichen, aber irgendwie zeitgemäßeren Schmelz sang. Höhepunkt war die Single "Unforgettable", auf der sie die Jazzballade im Duett mit der Archivstimme ihres Vaters singt. Ein Video gab es dazu, in dem sich der längst verblichene Vater und die Tochter beim Singen anschmachten. So richtig makaber war die Huldigung des Vaters aber bei den Konzerten, bei denen Nat King Cole nachträglich koloriert überlebensgroß auf Leinwänden erschien, während seine Tochter unten auf der Bühne vor großem Orchester den Song mit niedergeschlagenen Wimpern sang, als müsse sie jeden Moment auf die Knie gehen.

Drei Grammys gab es für Album und Single. Danach blieb Natalie Cole dem großen Diva-Jazz mit Orchester und Abendgarderobe weitgehend treu. Sie spielte Galakonzerte, vor dem Präsidenten und durfte sogar (ultimative amerikanische Heiligsprechung von Popstars) die Nationalhymne beim Super Bowl singen.

Mit ihrem Schritt vom Soulpop zum großen Kanon des American Songbook hatte sich Natalie Cole endgültig in der ersten Diva-Liga positioniert, stand gleichberechtigt neben Aretha, Diana und Barbra. Hätten sie nicht ihre wilden Jahre eingeholt. 2008 verkündete sie, dass sie an Hepatitis C leide, einer Krankheit, die sie sich während ihrer Heroinsucht an verschmutzten Nadeln eingefangen hatte, wie sie erzählte. Ein paar Monate später kollabierten ihre Nieren. Nach einem flehentlichen Aufruf an potenzielle Spender bei einem Auftritt in der Larry King Show meldete sich auch wirklich eine Familie aus El Salvador. Die Mutter hatte Natalie Cole einst im Krankenhaus gepflegt. Als nun die Tochter starb, vermachte sie ihre Nieren der Diva in Amerika.

Zwei Bücher hat Natalie Cole über ihre Drogensucht und über ihren Kampf mit den Folgen geschrieben. Anmerken ließ sie sich ihre gesundheitlichen Probleme selten. Sie trat nicht nur bei Konzerten und Shows auf, sondern immer wieder in Nebenrollen in Fernsehserien wie "Grey's Anatomy" oder "Law & Order". Im Dezember allerdings musste sie einige Auftritte absagen. Am Neujahrstag ist sie in einem Krankenhaus an Herzversagen gestorben. Sie wurde 65 Jahre alt.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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