Nachruf:Gelassenheit und Subversion

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Ruth Leuwerik in "Bildnis einer Unbekannten", 1954, ein Film, in dem sie singen darf. (Foto: imago)

Sie hatte schon früh etwas Damenhaftes, manchmal sogar etwas von einer Femme fatale. Im Alter von 91 Jahren ist Ruth Leuwerik, der Star des deutschen Nachkriegskinos, gestorben.

Von Fritz Göttler

Vor ein paar Wochen, um Weihnachten herum, war es wieder so weit. Die "Trapp Familie" stand auf dem Fernsehprogramm, unausweichlich. Der Klassiker des deutschen Familienkinos der Fünfziger, heiß geliebt und mitempfunden von den einen, heftig verdammt als Inbegriff von Sentiment und Kitsch von den anderen. Eine Klosterschwester, die sich zur Mutter entwickelt, in einem kinderreichen Adelshaushalt im Vor-Nazi- und Nazi-Österreich. Zeitloses Kino, aber schon das ist ein Missverständnis, das Kino ist niemals zeitlos.

Die Garbo hat sie verlockt, die zehnjährige Ruth Leuwerik, geboren am 23. April 1924 - als sie die auf der Leinwand sah, hat sie erstmals vom Schauspielern geträumt. Der Vater war dann erst mal aufs Praktische bedacht und hat sie die Handelsschule besuchen lassen. 1943 aber endlich doch die Abschlussprüfung an der Schauspielschule in Karlsruhe. In den kommenden Jahren spielte sie an Theatern in Paderborn, Münster, Bremen, Lübeck. Dann wurde sie nach Hamburg verpflichtet, ließ sich die Haare kurz schneiden, und 1950 hatte sie die erste Filmrolle, in München, im Film "Dreizehn unter einem Hut".

Sie war das Gegenstück zu Romy Schneider und deren Sissi: überhaupt kein nettes Mädel

In den Fünfzigern und Sechzigern war Ruth Leuwerik dann eine der erfolgreichsten Frauen im deutschen Kino. Sie sammelte Bambis am laufenden Band, und manchmal kam auch ein Otto dazu, von der Zeitschrift Bravo. Sie spielte deutsche Frauen von höchstem Rang, historisch - die Königin Luise und die Kaiserin Elisabeth von Österreich, die eine diskrete, sehr surreale Liebe zum König Ludwig II. von Bayern zelebrierte - und literarisch, die Effi Briest in dem Film "Rosen im Herbst", neben dem herben Bernhard Wicki, 1959. In der Zeit also, in der das deutsche Kino die Frauen von Gerhart Hauptmann entdeckte.

Ruth Leuwerik war das Gegenstück zu Romy, kein nettes Mädel und kein Fratz, selbst in ihren jugendlichsten Rollen war schon etwas Damenhaftes zu spüren, und öfter als es den Produzenten lieb sein mochte, Spuren einer Femme fatale. Man weiß nicht, wie sehr sie ihre Karriere hat steuern können - als man sie streng auf Typus solide deutsche Frau und Mutter bringen wollte und in eine Illustrierten-Traumromanze mit ihrem Mehrfachpartner O. W. Fischer zwängte -, aber in den Filmen spürt man einen wunderbaren Sinn für Ironie, für Subversivität gar. Das hat sie sich wohl von Helmut Käutner abgeschaut, dem Regisseur von "Ludwig II." und von "Bildnis einer Unbekannten", einer dekadenten Romanze, die einen brutalen Tiefgang entwickelt: O. W. Fischer malt und Ruth Leuwerik singt. Auch als man bei der Trapp-Reprise neulich in die erste halbe Stunde hineinstolperte, konnte man doch staunen, wie der Film immer wieder Blicke hinter die Kulissen provozierte, in die Mechanik dieses Familienromans. Das hatte etwas durchaus Professionelles, fast schon hollywoodhaft, wie souverän diese seelenkundige Schwester mit ihren pädagogischen Tricks den ungelenken Kapitän-Vater ausmanövrierte. Leuwerik mochte die Rolle nicht. Diese Glucke, die auf ihrer Familie sitzt, sagte sie.

Die Zerbrechlichkeit, die manche ihrer Figuren zeigten, war oberflächlich, im Innern waren sie zu allem bereit. In allen Situationen blieb ihre Stimme sanft und voller Gelassenheit. Sie war die Antimelodramatikerin in einer Zeit, der es nicht melodramatisch genug zugehen konnte. Leuweriks Effi Briest ist eine Porzellanfigur, die Tragik wird stark runtergespielt. Die Filme mochten Ordnung und Sicherheit suggerieren, Leuweriks Figuren und Spiel brachten Unordnung ins Spiel, protestierten gegen die Überprotektion der deutschen Nachkriegszeit. Die leidenschaftlichsten Rollen hat sie mit einer Kühlheit versehen, die mal klassisch war und manchmal schon das, was man später als cool bezeichnete. Das deutsche Publikum hat das vielleicht nicht immer wahrgenommen, aber in Hollywood wurde man aufmerksam darauf, längere Zeit hat man versucht, dort im Studiosystem Rollen für sie zu entwickeln.

Ihre Zerbrechlichkeit war oberflächlich, im Innern war sie stets zu allem bereit

1962 gab es, noch einmal für Helmut Käutner, die "Rote", nach Alfred Andersch. Weder Roman noch Film waren besonders beliebt, der Film war sogar ein richtiger Misserfolg. Leuwerik spielte die Sekretärin Franziska, die sich eines Abends in den Zug nach Venedig setzt. Ein Ausbruchsversuch aus dem bundesdeutschen Alltag, inklusive Feierabend mit Geliebtem. Leuwerik sei zu alt für die Rolle, wurde kritisiert, und nicht profiliert genug. Aber diese Fremdheit, dieser Beginn der deutschen Lebenskrise Anfang der Sechziger, das kann man nicht spielen. Also hat Leuwerik es tatsächlich verkörpert, in ihren Blicken, ihren Schritten. Sie hat sich auf die Stadt eingelassen, wie es damals gleichzeitig die Frauen in den Filmen der Nouvelle Vague und von Antonioni taten. Eine Rothaarige, in einem Schwarzweißfilm!

Der Misserfolg der "Roten" hat Ruth Leuwerik nachdenklich gemacht, sie hat sich dann langsam aus dem Kino- und Fernsehgeschäft zurückgezogen. Zuvor aber noch schnell eine Rolle (nach)gespielt, mit der Greta Garbo Weltruhm erlangte - die "Ninotschka", in einer TV-Version des Stücks. Da war sie dann wirklich cool, als etwas steife Sowjetkommissarin, die sich auf den dekadenten Westen einlässt. Am Dienstag ist Ruth Leuwerik im Alter von 91 Jahren in München gestorben.

© SZ vom 13.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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