Nachruf:Ein Weltbürger

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Der Aktionsradius zwischen Amerika, Europa und Israel war ihm zur neuen Heimat geworden: Im Alter von 96 Jahren ist der britische Verleger und Diplomat George Weidenfeld gestorben.

Von Alexander Menden

Bis zuletzt nahm George Weidenfeld regen Anteil an der Weltpolitik. Er beobachtete und kommentierte sie nicht nur, er griff auch ein, wo er es für nötig hielt. Der von ihm eigens gestiftete "Weidenfeld Safe Havens Fund" dient seit Ende 2015 der Unterstützung von Christen aus dem Nahen Osten, die vor dem IS flüchten. "Ich habe eine Schuld zu begleichen", sagte der Verleger, Diplomat und Philanthrop vergangenen Oktober in der BBC. Christen hätten ihm das Leben gerettet, nachdem er als 19-Jähriger vor den Nazis aus seinem Geburtsland Österreich nach England geflohen sei: "Sie nahmen mich auf wie einen Sohn, sie intervenierten beim Innenministerium und sorgten dafür, dass auch meine Eltern gerettet wurden."

Geboren 1919 in Wien begann der Sohn eines Altphilologen eine bildungsbürgerliche Karriere

Es war bezeichnend für die Weite des historischen Blickwinkels, der Lord Weidenfeld of Chelsea zu Gebote stand, dass er einen persönlichen Bogen zum Schicksal einer verfolgten Minderheit der Gegenwart schlagen konnte und entsprechend zu handeln bereit war. Geboren 1919 in Wien, als einziger Sohn des Altphilologen und späteren Versicherungsmanagers Max Weidenfeld und seiner Frau Rosa, durchlief Arthur George Weidenfeld die Stationen eines bildungsbürgerlichen Werdegangs jener Jahre. Er studierte Jura an der Universität Wien und besuchte die Diplomatische Akademie. Als die antisemitischen Ressentiments, denen er in Wien schon zuvor begegnet war, nach dem Anschluss Österreichs durch die Nazis 1938 eskalierten, emigrierte er nach England.

Während des Krieges lieferte George Weidenfeld unter anderem dem Abhördienst der BBC Propagandamaterial für von den Deutschen besetzte Länder. Von 1942 an arbeitete er auch als politischer Kommentator der BBC, etablierte sich rasch in der Londoner Gesellschaft und wurde 1947 britischer Staatsbürger. Eine von Weidenfeld gegründete Kulturzeitschrift, deren Beiträger unter anderen Benedetto Croce und Sebastian Haffner waren, mündete 1948 im Verlag "Weidenfeld and Nicolson". Zum Verlagsprogramm gehörten nicht nur Arbeiten, die sich schon bald nach Kriegsende mit der Analyse der Naziherrschaft befassten, sondern auch kontroverse Romane wie die englische Erstausgabe von Nabokovs "Lolita". Bald knüpfte er auch wieder Verbindungen nach Deutschland und Österreich, deren Wiedereingliederung in die Staatengemeinschaft ihm wichtig war.

Die Förderung Israels lag Lord Weidenfeld besonders am Herzen. Er erinnerte sich später an die "fast fieberhafte Atmosphäre in den Gründungsjahren", in denen er dem ersten israelischen Präsidenten Chaim Weizmann als Berater diente. Die Loyalität zum israelischen Projekt prägte seine Haltung zur gesamten Nahostpolitik. Er mahnte immer wieder nachdrücklich vor den Gefahren des islamistischen Terrors und gehörte noch Ende vergangenen Jahres zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, die sich gegen einen britischen Kulturboykott Israels aussprachen.

Obwohl in Großbritannien verwurzelt, verlor er, wie er sagte, "trotz meiner Erfahrungen auch in den finsteren Tagen der Verfolgung nie meine Dankesschuld an die deutsche Kultur, Kunst, Musik und vor allem Literatur". Und was Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg "auf dem Gebiet von Erfüllungs- und Versöhnungspolitik" erreicht habe, sei "beispiellos in der Geschichte". Gerade sein nie versiegendes Interesse an Deutschland bewegte ihn dazu, die Deutschen zu kritisieren, wenn er eine Fehlentwicklung zu entdecken glaubte. So nannte er die seiner Meinung nach wahllose Aufnahmebereitschaft der Deutschen in der Flüchtlingskrise in einem Interview mit der Welt am Sonntag, deren Verlag er eng verbunden war, "Ignoranz". Die deutsche Öffentlichkeit freue sich, "als könnte man damit die Schuld der Großeltern wieder tilgen. Hitler ausmerzen, indem die Deutschen endlich die Guten sind". Auch als Mitglied des britischen Oberhauses - er wurde 1969 geadelt und 1976 zum Lord erhoben - blieb er ein überzeugter Europäer. Er beteiligte sich gar nicht erst an den folgenlosen Abstimmungen des House of Lords zu mehr europäischer Integration, sondern gründete lieber das "Institute for Strategic Dialogue" mit, das helfen soll, eine kohärente politische Strategie für Europa zu entwickeln. Seine internationale Sicht verdanke er einer weit verzweigten Familie, mit Verwandten "in Triest und Mailand, in Breslau und Tarnopol", wie er einmal sagte: "Der Vielvölkerstaat war für mich eine Realität. Der Aktionsradius zwischen Amerika, Europa und Israel ist mittlerweile meine neue Heimat geworden." Am Mittwoch ist der britische Wiener Weltbürger Arthur George Weidenfeld mit 96 Jahren gestorben.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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