Nachruf:Ein ganz eigenes Schnittmuster

Lesezeit: 1 min

Sie prägte die Mode-Subkultur der DDR. Zum Tod von Dorothea Melis.

Von Renate Meinhof

Wer nur ihre Zeitschrift kannte, die Sibylle, und nicht sie selbst, Dorothea Melis, der stellte sich diese Frau wie eine Exotin vor, eine sehr schöpferische Exotin allerdings. Denn so unverwechselbar und fast ein bisschen fremd und verführerisch war dieses Modeheft, dass man sich einige der Titelbilder sofort aus dem Gedächtnis rufen kann. Die Sibylle genoß man, aber niemals schmiss man sie weg, denn wer sie ergattert hatte, gab sie weiter, und wenn sie, Wochen später, zurückkam, so war der Schnittmusterbogen, der drinnen lag, ein bisschen fledderig und die Ecken der Seiten so abgegriffen, als wäre es ein Groschenroman.

Aber natürlich war diese wichtigste Mode- und Kulturzeitschrift der DDR alles andere als etwas Billiges, jedenfalls von dem Zeitpunkt an, da Dorothea Melis (damals hieß sie noch Bertram) 1961 als Redakteurin begann, die Sibylle völlig umzukrempeln. Stoff für die kluge, emanzipierte, berufstätige Frau sollte das Heft bieten. Lesestoff, Traumstoff, Augennahrung, das vor allem. Die im Osten wichtigsten Fotografen wie Arno Fischer, Ute und Werner Mahler, Sven Marquardt, Roger Melis (seit 1970 Dorothea Melis' Mann) und Sibylle Bergemann prägten die Bildästhetik. Mode dort zu zeigen, wo sie getragen wird - vor Bröckelfassaden, an melancholischen Stränden der Ostsee - genau das wollte Dorothea Melis. Alles Gekünstelte, Affektierte hingegen, war ihr zuwider.

Sie war Berlinerin, 1938 geboren als Tochter eines Architekten. An der Hochschule in Berlin-Weißensee hatte sie Modegestaltung studiert. Doch Mode im Sozialismus war Mode unter der Zensur, in den Fesseln der Kleinkariertheit sozusagen. Mode in der verordneten Gleichheit, in der Mangelwirtschaft? Dorothea Melis hat der SZ einmal fast wütend gesagt: "Die Leute wissen nicht, was sich hinter der Mauer abgespielt hat, wie viele Ideen und Talente wir hatten."

Diesen Talenten hat sie Nahrung gegeben, die nötigen Reize. Zu kaufen gab es nicht viel. So nähte man. Nähte aus Windeln und Laken Kleider, färbte sie ein, stickte Blumen darauf, stopfte Schulterpolster voll Watte, bezog Knöpfe. Um anders zu sein, mit eigenem Gesicht. Manches hängt noch im Schrank. Dorothea Melis würde das freuen. Sie ist am 29. Juni gestorben.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: