Nachruf:Der Prioritarist

Der Brite Derek Parfit war einer der einflussreichsten Moralphilosophen der Gegenwart. Er starb im Alter von 74 Jahren in Oxford.

Von Jonathan Horstmann

Die für diesen Monat geplante Veröffentlichung des dritten Bandes seines Opus magnum "On What Matters" hätte der britische Philosoph Derek Parfit fast noch erlebt. Das Buch ist das Ergebnis von Parfits langjähriger Auseinandersetzung mit drei der wichtigsten Schulen der Moralphilosophie.

Parfit glaubte, erkannt zu haben, dass man die Vernunftethik Immanuel Kants, den Konsequenzialismus Henry Sidgwicks und die Vertragstheorie Thomas M. Scanlons zusammen denken müsse, um die moralische Dignität einer Handlung beurteilen zu können. Kants kategorischer Imperativ, der vom Individuum ausgehe, befinde sich nicht im Konflikt mit der universalen Übereinstimmung darüber, was zu tun sei. Der Einzelne, so Parfit, solle nach moralischen Grundsätze handeln, bei denen er die Zustimmung der Allgemeinheit bereits mitdenke - insbesondere im Sinne des bestmöglichen Ergebnisses für die, denen es am schlechtesten gehe. Moralische Urteile seien daher unabhängig von ihren Folgen für einen Einzelnen richtig oder falsch.

Die Theorie eines ethischen Bewusstseins, das über dem Individuum steht und das herkömmliche Verständnis von Eigeninteressen herausfordert, hatte Parfit schon 1984 in seinem Buch "Reasons and Persons" entwickelt. Sein Denken stellte dabei die kontinentale Philosophie auf den Prüfstand angelsächsischer Logik. Für seine scharfsinnigen Gedankenexperimente wurde er von seinen Lesern genauso verehrt wie von seinen Studenten am All Souls College in Oxford. Ebendort ist er am 1. Januar im Alter von 74 Jahren gestorben.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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