Nachruf:Der erste fünfte Beatle

Er entdeckte die "Beatles", ihr Fan war er nicht. George Martin, der berühmteste Pop-Produzent der Welt, ist tot.

Von Jens-Christian Rabe

Die letzten 50 Jahre seines Lebens war George Henry Martin nicht einfach ein bedeutender britischer Arrangeur und Plattenproduzent, er war der "legendäre Beatles-Produzent George Martin". Damit wird er - und der Superlativ ist hier unumgänglich - auch für alle Zeiten der berühmteste Pop-Produzent der Musikgeschichte bleiben. Es gibt keinen Lexikonartikel über ihn, in dem nicht betont wird, dass "kein Produzent je so einen Einfluss auf die Popmusik" gehabt hätte.

Im Nachhinein scheint es, als seien damit nur die Beatles selbst nicht immer einverstanden gewesen. John Lennon schrieb 1971, ein Jahr nach der Auflösung der Band: "Wenn der Kameramann Ruhm beansprucht, der dem Regisseur gehört, geht das ein bisschen zu weit." Lennon fand, Martin habe sich zu selbstgefällig über seine Rolle als Beatles-Produzent geäußert.

Aufschlussreicher als der Rüffel dürfte allerdings der Zusatz "ein bisschen" sein. Lennon wusste schon, was die Band an Martin hatte. An anderer Stelle gab er, sogar im selben Jahr, auch zu, dass Martin die Beatles im Studio zu dem gemacht habe, was sie waren: "Er hat uns geholfen, eine Sprache zu entwickeln, mit der wir zu anderen Musikern sprechen konnten." Ganz nebenbei revolutionierte er damit das Berufsbild des Produzenten, der bis dahin bloß ein Oberorganisator von Musikaufnahmen gewesen war. Erst mit ihm wurde es üblich, dass auch der Produzent auf dem Plattencover prominent genannt wurde: "Produced by George Martin".

Beatles Producer George Martin Launches New Album Love

George Martin, geboren 1926, studierte Komposition und Orchestrierung, bevor er nach einem Job bei der BBC die Beatles für Parlophone entdeckte.

(Foto: Chris Jackson/Getty Images)

Was das genau bedeutete, darüber hat er glücklicherweise später noch ein ganzes Buch geschrieben: "All You Need Is Ears", dem man übrigens an jeder Stelle anmerkt, dass da nicht einfach jemand auf dem Ruhm der Band Trittbrett fahren wollte. Dazu erscheint der Mann, der Ende der Vierziger an der renommierten Guildhall School of Music and Drama drei Jahre Komposition und klassische Musikorchestrierung studiert hatte und auf den frühen Beatles-Bildern selten ohne Krawatte zu sehen ist, viel zu integer. Wie ein Gentleman aus dem Bilderbuch, kompetent, bescheiden, besonnen.

Nie erlag er der Versuchung, die Tatsache, dass er die Band für das Londoner Label Parlophone 1962 unter Vertrag nahm, nachdem sie überall abgelehnt worden war, seinem besonderen Spürsinn zuzurechnen. Über das Demo, das ihm der damalige Beatles-Manager Brian Epstein im Parlophone-Büro vorspielte, schreibt er lakonisch: "Die Aufnahme war - um es höflich zusagen - in keinerlei Hinsicht ein Knaller." Die Persönlichkeiten der Musiker beeindruckten ihn trotzdem, auch wenn er sich sicher war, "dass sie als Songwriter in kommerzieller Hinsicht keine Zukunft" hätten. Zur Belohnung gab's einen "harten Knebelvertrag" über ein Jahr und vier Singles, für die die Band einen einzigen Penny pro verkaufter Einheit erhalten sollte. Mehr, so Martin, habe er da einfach nicht gesehen.

Der Rest ist ganz große Geschichte, von den frühen Hits wie "Love Me Do", und "Please Please Me" bis zu "Yesterday" und "Sgt. Pepper". Wie er zunächst eine Art Lehrer der Band wurde, wie er ihnen Technik und Tricks beibrachte, wie er ihren Ideen Form gab, sich für "Yesterday" oder "A Day In The Life" sogar die ikonischen Streicherarrangements ausdachte - bis er am Ende nur noch ein Diener der Band war, wie er einmal nur ein ganz kleines bisschen wehmütig zugab. Aber da war das meiste schon vollbracht. Und für genial hatte er ohnehin nie sich selbst, sondern Lennon und McCartney gehalten: "Ich wurde oft gefragt, ob ich eine der Beatles-Nummern hätte schreiben können. Die Antwort lautet: nein."

Dass er nicht ein Beatles-Album, sondern die Platte "Icarus" eines gewissen Paul Winter Consort als beste Platte bezeichnete, die er je produziert habe, ist natürlich eine sehr britische Pointe. Man versteht sie am besten, wenn man weiß, mit welcher Freude er von der ersten Studio-Session mit den Beatles erzählte: Auf die Bitte, sich die Aufnahme noch einmal anzuhören, um dann zu sagen, was ihnen nicht gefalle, habe George Harrison, "dieser Klugscheißer", nur geantwortet: "Als Erstes gefällt mir deine Krawatte nicht."

Als "fünfter Beatle" wurden schon mehr als zehn Menschen gehandelt. Der erste fünfte Beatle ist und bleibt George Martin. Nach Angaben seiner Familie ist er am Dienstag im Alter von 90 Jahren friedlich gestorben.

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