Nachruf:Das One-Book-Wonder

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Motorradfan Pirsig 1975, ein Jahr nach Erscheinen seines Bestsellers. (Foto: William Morrow /AP)

Mit Platon im Gepäck: Robert Pirsig, der Autor des Bestsellers "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten", ist tot.

Von Willi Winkler

Ein Mann bricht auf in den Westen, eine Reise ins Unbekannte, ins Innere nicht nur Amerikas, er sucht sich, er hat sich verloren. Sein elfjähriger Sohn begleitet ihn, zwei Freunde sind dabei. Es wird kein Western, aber der Autor hat Jack Kerouac gelesen, er sucht deshalb, während er kentaurisch mit seinem Motorrad verschmilzt, Erleuchtung. Daraus wird vielleicht keine Philosophie, aber eines der erfolgreichsten Bücher der Nachkriegszeit, die Bibel einer ganzen Generation. Der Autor nannte es "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten".

Angeblich hatten 121 Verlage das Manuskript abgelehnt; ein Jahr nach dem Erscheinen 1974 war das Buch eine Million Mal verkauft. Die Sechzigerjahre, als sich an der amerikanischen Westküste die Gegenkultur bildete, als die Beatles nach Indien zum Guru Maharishi reisten und bald wussten, wie leicht es sich mit geschlossenen Augen lebt, verbrachte Robert M. Pirsig in der besten denkbaren, in der schlimmsten Gesellschaft: Er war mit sich allein. Als Kind galt er mit einem IQ von 170 als höchstbegabt, studierte bereits mit fünfzehn Biologie, war dann aber an der Universität kläglich gescheitert. Er war Soldat gewesen, hatte in Indien Zen studiert, er studierte dann wieder, diesmal Philosophie, nur um noch mehr enttäuscht zu werden, unterrichtete, aber dann brach die Schizophrenie aus, totale Zerrüttung. Wie es heißt, ist er sogar mit dem Revolver auf seine Frau losgegangen. Pirsig wurde eingesperrt, behandelt, misshandelt mit Elektroschocks. Nichts, gar nichts hatte er mit der Woodstock-Generation zu tun und wurde doch mit seinem argen Weg der Erkenntnis ihr Vorbeter beim sanften Übergang ins Erwachsenenleben.

Für Pirsig und seine Millionen zählenden Jünger kam das Licht wie schon bei Hermann Hesse und dem Vorfahrer Kerouac aus dem Osten, aber ohne Platon und seine Sprechpuppe Sokrates ging es doch nicht. Nach einem platonischen Dialog nannte Pirsig sein abgelegtes, schulverhaftetes Ich "Phädrus", gefangen in der Strenge des Leib-Seele-Dualismus. Pirsig entdeckte den Geist als perfekte Maschine und erkannte in der Mechanik des Motorrads die perfekte Geistesmaschine.

Mit Weisheiten wie der, dass der Buddha nicht nur oben auf dem Berg sitze, sondern sich auch in den Schaltkreisen des Computers oder in einem Getriebe wohlfühle, erlaubte Pirsig den Hippies die schmerz- und schuldfreie Annäherung an den PC, der fast zeitgleich mit den Deliberationen in freier amerikanischer Natur entwickelt wurde. Spätere Kulturtheoretiker werden nachweisen, dass Apple und Google nicht nur aus der Gegenkultur, sondern auch aus der Welterklärungssehnsucht eines Provinzdozenten hervorgegangen sind.

Ein anderer Philosoph, der Autor der "Sieben Säulen der Weisheit", ist auf dem Motorrad gestorben, Pirsig überlebte seine große Reise und wurde zum großen weisen Mann. Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk erinnert sich, wie er sich während der Arbeit an einem eigenen Roman abends mit Pirsigs Lebensbewältigungskunst belohnte: "Blieb ich tagsüber mit meinem historischen Roman, der sich unter osmanischen Malern abspielt, irgendwo stecken, brachte mich über die Durststrecke der Gedanke hinweg, dass ich abends wieder in meinem Pirsig lesen würde. Das beruhigte, ja beglückte mich. Ich sah mich schon wieder im fahlen Laternenlicht sitzen und voller Respekt und Leidenschaft in dem Buch so lesen, als hätte ich etwas Heiliges vor mir." Der Entzauberung der Welt setzte Pirsig, der sein Geld zeitweise mit dem Schreiben von Gebrauchsanweisungen für Computer verdient hatte, eine Mystik der Selbsterkenntnis entgegen, indem er eine Art motorisierten Nietzsche in die amerikanische Nützlichkeitsgesellschaft einführte.

"Wasn't born to follow" singen die Byrds 1969 in "Easy Rider", aber die beiden Motorradfahrer überleben ihren Trip nicht. Pirsig wollte den Maßgaben der klassischen Philosophie nicht mehr folgen und noch weniger der Konsumgesellschaft, er strebte ins Freie. Geheilt war er dennoch nicht auf Dauer. Der Sohn, der sich auf dem Rücksitz an ihn geklammert hatte, wurde auf offener Straße umgebracht. Die alte Krankheit, die bipolare Störung, sei wiedergekommen, hat er vor ein paar Jahren dem Guardian erzählt, aber die Schocktherapie musste es nicht mehr sein, es ging mit Tabletten. Am Montag ist Robert Maynard Pirsig im glücklichen Alter von 88 Jahren im dunkelgrünen amerikanischen Bundesstaat Maine gestorben.

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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