Nachruf auf Sol LeWitt:Alle guten Ideen sind denkbar einfach

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Der dem Raum eine Ordnung einbeschrieb: Sol LeWitt, Mitbegründer und Meister der amerikanischen Minimal Art, ist in New York gestorben.

Kia Vahland

"Die meisten erfolgreichen Ideen sind lächerlich einfach", hat Sol LeWitt einmal gesagt. Und setzte zu einer Spott-Attacke auf den Großkritiker Clement Greenberg an, der den Minimalisten Lebensferne und Ideenfixiertheit vorwarf. Sol LeWitt dekonstruierte den Vorwurf selbst als abgehobene Idee: Was denn diese Mini-Art sei, von der die Kritiker in ihrer "Geheimsprache" redeten? Vielleicht eine Hommage an den Mini-Rock? Oder Kunst, die so klein sei, dass sie in eine Streichholzschachtel passe? Gerne würde er so etwas produzieren, wenn das gewünscht sei.

Dazu kam es nicht. Sol LeWitts Arbeiten gehören zu den großflächigsten und einflussreichsten der jüngeren Kunstgeschichte. Neben seinen Installationen, Objekten und Möbeln sind es die riesigen Wandgemälde in Hannover, Wien, Graz und natürlich vielen amerikanischen Häusern, die sich in das Kunstgedächtnis der Moderne eingebrannt haben. Geometrische Formen in allen Variationen durchwirken die Bildflächen, meistens in den Farben gelb, rot, blau und grau. Gitterstrukturen ordnen viele Kompositionen; Kuben und Rauten erscheinen immer wieder, aber in stets neuer Anordnung.

Erst in jüngster Zeit biegen sich die Konturen seiner Objekte und schwingen sich gen Himmel in fast schon organischen Formen. Die Freiskulptur "Splotch", die Sol LeWitt im Jahr 2000 für das Metropolitan Museum of Art in New York realisierte, scheint sogar die dynamische Silhouette der Stadt aufzugreifen. Aber auch das bleibt eine Andeutung: Allen Schüben der Figuration hat der gelernte Grafikdesigner bis zuletzt widerstanden.

Greenberg hatte nicht ganz unrecht mit seinem Einwand, diese Kunst sei kopfgesteuert. Sol LeWitt selbst ließ sich in seinen "Sätzen über Konzeptkunst" 1969 darüber aus: "Ideen können Kunstwerke sein . . . sie müssen nicht unbedingt physische Gestalt annehmen." Damit stellte sich der Mann von der amerikanischen Ostküste in die aristotelische Denktradition, nach der Idee und Materie, Gedanke und Ausführung eines Kunstwerkes zweierlei seien.

Nachdem die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts eine Einheit von Kunst und Leben propagiert hatten, zieht mit Sol LeWitts Arbeiten und Denken in den 1960er Jahren wieder ein Kunstverständnis ein, das, ganz im Sinne des Renaissance-Künstlers und -Autors Giorgio Vasari (1511 - 1574), den gedanklichen Entwurf als "Vater der Kunst" sieht und alles Stoffliche, Haptische und Erdig-Dreckige auszugrenzen versucht.

Sol LeWitt im Jahr 2000. Nun starb er im Alter von 78 Jahren. (Foto: Foto: dpa)

Spielerisch mit offenem Ergebnis

Dabei wurde Sol LeWitt freilich nie so dogmatisch, wie Greenberg es befürchtete. Die Auftraggeber seiner Wandgemälde durften mitbestimmen, welche Gestalt ihr Werk annahm. Auch seine Mitarbeiter hatten ihre Freiheiten bei der Ausführung.

Bei Sol LeWitt blieb die Kunst also spielerisch und ergebnisoffen. Es war kein rigider Rationalismus, der ihn antrieb; es ging ihm nicht um die eine beste Idee, von der alle überzeugt werden mussten. Das Streben nach einem einheitlichen, harmonischen Ganzen, wie es noch Piet Mondrian im Sinn hatte, blieb ihm, dem amerikanischen Konzeptkünstler, zeitlebens fremd. Insofern hat seine Kunst wenig mit der europäischen Abstraktion zu tun. Sie mag mathematisch exakt errechnet sein, aber sie bleibt gerade in ihrer bewussten Schlichtheit offen für Alternativen.

Beeinflusst haben mag den Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland auf seinem Weg in die Abstraktion das religiöse Bilderverbot. 1928 geboren, wuchs Sol LeWitt in dem idyllischen Städtchen Hartford, Connecticut, auf. Seinen ersten Zeichenunterricht bekam er im dortigen Wadsworth Atheneum Museum of Art, das heute über wichtige Sol LeWitt-Werke verfügt. Nach dem Krieg besuchte er die Syracuse University, wurde dann aber von der US-Army nach Japan und Korea geschickt. Nach diesen Erlebnissen ging er nach New York und reüssierte als Gebrauchsgrafiker - zuerst bei der Zeitschrift Seventeen, dann bei dem Architekten I. M. Pei.

Den Pragmatismus und das unbestechliche Auge des Grafikers bewahrte sich LeWitt stets. Mit großer Selbstverständlichkeit hob er so die Grenze zwischen Hochkunst und Design, Gedankengebäuden und Gebrauchswerken auf. Wie selbstverständlich musste dieser Ansatz außer in Möbelideen und Buchproduktionen zu niedrigeren Preisen auch in die Architektur münden, in raumgreifende Bildwerke, die jedermann zugänglich sind. Der Vorwurf des Elitären trifft also gerade auf diesen Gründer der Konzeptkunst nicht zu. Gleichzeitig verkommen die Arbeiten nie zu jenem bemüßigt dekorativen Beiwerk, das in Deutschland jahrzehntelang als "Kunst am Bau" produziert wurde.

Mystik des SchlichtenMan kann Sol LeWitt nicht für die Einfallslosigkeit seiner Epigonen verantwortlich machen. Vielleicht wurde er erst in jüngster Zeit richtig gewürdigt: nämlich von jungen Künstlern wie Jonathan Monk, die das "lächerlich Einfache", also das im besten Sinne Spielerische, an dem Altmeister wieder entdecken. Und so seinen Satz ernst nehmen: "Konzeptkünstler sind eher Mystiker als Rationalisten."

So gesehen weist die alte neue Konzeptkunst weit hinaus über das Anschaulichkeitspathos gerade der figurativen Malerei der letzten Jahre - vorausgesetzt, man nimmt, wie Monk, ihren Verzicht auf alles Leibhaftige nicht allzu ernst, sondern beansprucht jene Freiheit des Neuen und Andersartigen, für die der Mann von der Ostküste zeitlebens eingetreten ist. Seiner Kollegin Eva Hesse hatte Sol LeWitt, der moderne Erfinder der kühlen Kopfkunst, einmal geraten: "Sei uncool!"

Der Öffentlichkeit präsentierte sich Sol LeWitt nie gerne. Wie viele Konzeptkünstler lehnte er jede Selbststilisierung als Vermischung von Kunst und Privatleben ab. So traf die Nachricht von seinem Tod nun doch viele überraschend: Sol LeWitt starb am Ostersonntag in New York im Alter von 78 Jahren an einem Krebsleiden.

© SZ vom 10.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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