Musikfestival:Europas Grenzen niedersingen

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Welches Tier würde sich besser als Plakatmotiv für Rage against Abschiebung eignen, als ein Border Collie, der einpfötig Grenzen niederdrücken kann? (Foto: Feierwerk)

"Rage against Abschiebung" hat in diesem Jahr eine Brisanz wie selten. Wieder treten Künstler auf, um den Bayerischen Flüchtlingsrat zu unterstützen

Von Dirk Wagner

Eine Benefiz-Veranstaltung beschafft ja nicht nur das Geld für die damit unterstützte Sache. Es verhilft der Sache vor allem auch zur Öffentlichkeitsarbeit", hatte Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen einmal den Sinn von Soli-Festen wie dem Münchner Rage Against Abschiebung erläutert. Zum 14. Mal verzichten die Bands, die auf diesem Rage im Feierwerk spielen, auch heuer auf ihre Gage, damit die über die Eintrittsgelder gesammelte Spende dem Bayerischen Flüchtlingsrat zukommt. "Aufgrund der aktuellen Flüchtlingsdebatte geben sich zur Zeit Vertreter der internationalen Presse die Klinke in die Hand, die allesamt Stellungnahmen von uns einholen", sagt Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat. Natürlich freut er sich dabei auch über die aktuelle Spendenbereitschaft. So versteigern heuer zum Beispiel Künstler der Ausstellung "Kunstsalon 2015" einige ihrer vom 8. bis 25. Oktober in der Ägyptischen Staatssammlung in München gezeigten Bilder zugunsten des Flüchtlingsrates. Doch die derzeitig freudig proklamierte Willkommenskultur, in welcher freiwillige Helfer nicht nur in München die ankommenden Geflüchteten grundversorgen mit großzügig gespendeten Klamotten, Mobiltelefonen und Spielzeug, befürchtet der erfahrene Menschenrechtler als eine vorübergehende. Immerhin, derselbe Bundespräsident, der das deutsche Volk im Sommer noch beschwor: "Aber das Land ist groß, und wir sind immer noch so, dass wir sagen: Ja, wir stehen zu unserer Verpflichtung, Asyl zu gewähren.", räumte unlängst ein: "Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich".

"Während unser Umgang mit Flüchtlingen in der internationalen Presse bereits als besonders vorbildlich gepriesen wurde, wurden hierzulande die Rechte der Flüchtlinge gleichzeitig wieder auf das Niveau von vor zehn Jahren zurückgeschraubt. Statt Geld, mit dem jeder selber entscheiden könnte, was er sich zu essen kauft, gibt es in der Erstaufnahme zum Beispiel wieder nur Sachleistungen. Das heißt, gegessen wird, was auf den Tisch kommt, egal, ob es schmeckt. Du wirst irgendwo, zumeist außerhalb der Städte in Lagern gepfercht, und weil du woanders noch schrecklichere Umstände erwartest, duldest du solche Erniedrigung", schimpft Weinzierl, der jahrelang dafür gekämpft hatte, dass die früher üblichen und jetzt wieder eingeführten Essenspakete einmal abgeschafft wurden: "Ich glaube auch nicht, dass man die Menschen mit schlechtem Essen davon abhalten kann, zu uns zu kommen", sagt Weinzierl.

Den größten Unterschied des Rage against Abschiebung zu anderen Flüchtlingshilfen sieht er vor allem in der konsequenten Ablehnung jedweder Abschiebung. "Mir ist egal, ob Menschen ihre Heimat verlassen, weil sie dort politisch verfolgt werden, weil dort Krieg ist, oder weil sie dort einfach nur verhungern. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge haben ganz offensichtlich in ihren Herkunftsländern keine Überlebensperspektiven", sagt Weinzierl, dessen Engagement für Flüchtlinge einst aus der katholischen Jugendarbeit hervorging. Seitdem hatte er schon öfters miterleben müssen, wie grausam Abschiebungen verlaufen: "Die Polizei holt die Menschen, die abgeschoben werden, meistens nachts um drei, vier Uhr ab. Unangemeldet natürlich, damit sich niemand dem Zugriff entzieht. Dann haben sie circa zwanzig Minuten, um die wichtigsten ihrer Klamotten in eine Tasche zu packen. Ohne sich von irgendwen verabschieden zu können, werden sie dann meistens erst mal inhaftiert, bevor sie später dann mit dem Flieger gegen ihren Willen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Bei solchen Transporten sind auch schon Menschen ums Leben gekommen, weil sie geknebelt und gefesselt im Flugzeug saßen und erstickten", sagt Weinzierl.

Für ihn ist Rage Against Abschiebung trotzdem auch ein Fest, auf welchem zahlreiche Unterstützer des Flüchtlingsrates sich treffen, um gemeinsam zu feiern. Bewusst wurde der Soli-Preis darum auch auf 9,50 Euro festgelegt. Das sei nämlich der Preis, den Unterstützer auch bereit sind zu bezahlen, wenn sie sich nicht für die Konzerte von Tuna Trio, Chris Imler, Candellila, Das Weiße Pferd, Koflgschroa, Magnetic Ear und so weiter interessieren. "Es kommen tatsächlich viele nur, um zu quatschen, Bier zu trinken und die Atmosphäre unserer Party zu genießen", so Weinzierl.

Rage against Abschiebung , Freitag, 2. Oktober, 19 Uhr, Feierwerk, Hansastraße 39-41

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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