Musik:Kraftwerk

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(Foto: Cecilia Zawadzki/Fineartberlin)

Eine hundert Meter lange, 20 Meter hohe Betonbunkerhalle: Hier geht Musik mindestens so durch die Magengrube wie durch die Ohren. Erst recht, wenn sie von Stockhausen ist.

Von Wolfgang Schreiber

Im ehemaligen Heizkraftwerk an der Köpenicker Straße zu Berlin-Mitte bollern die Sub-Bässe, Karlheinz Stockhausens elektronische "Oktophonie" nimmt man hier mehr über die Magengrube als über die Ohren auf. Das passt, schließlich geht es im "Kraftwerk", dieser Klangbasilika, "nicht nur um die Musik, sondern um die Erfahrung, sich im Klang und der Architektur zu bewegen". So, im Pop-Zentralorgan Spex, Laurens von Oswald, Direktor des Fünf-Tage-Festivals Berlin Atonale, das schon 1982 schrillte, dann wieder verschwand und vor fünf Jahren auferstanden ist im Mega-Betonbunker. Im Klang sich bewegen, das ist existenziell. Erst recht in einem 100 Meter langen und 20 Meter hohen Saal, wo acht Boxentürme Stockhausens Einstünder in die fünfschiffige dämmerige Soundkathedrale abfeuern. Fünf bis acht Sekunden Nachhall sorgen dafür, das der symphonische Elektro-Malstrom in langen Zügen atmet, tobt und irgendwie transzendiert - dass seine Rhythmusstöße sich massenhaft an Wänden und Säulen des Raums brechen, bevor sie den tausend Besuchern in die willigen Glieder fahren. Die Bars im roten Feuerschein können die Hörwunder, von manchem als "gurgelnder Retro-Elektronik-Kitsch" verhöhnt, nicht mindern. Sie intensivieren nur die Party.

Kathinka Pasveer, Stockhausens Muse, Flötistin und eine der zwei Erbinnen des 2007 gestorbenen Meisters aus dem rheinischen Kraftwerk Kürten, ist da, um "Oktophonie" technisch und mental realisieren zu helfen. Das Stück, 1990 im monumentalen "Licht"-Zyklus verortet, macht als autonomes Erlebnismonster dem Atonal-Festival, das bis Sonntag andauert, alle Ehre. Davor hatte der Pianist und Zeitkratzer Reinhold Friedl ein krachend splitterndes Requiem auf die vor zwei Wochen verstorbene rumänische Spektralkomponistin Ana-Maria Avram ins Technoklavier gehämmert, danach wühlte sich Sophie Schnell alias PYUR durch ihre Schaltperformance "Oratorio for the Underworld". Das Visuelle im Kraftwerk - hier irrelevant. Die Klangtiefe erschafft allein der Raum.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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