Musik:Glückliches Österreich

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Das Ensemble der Bergkirche in Eisenstadt mit der Wallfahrtskirche und dem Kalvariengang. (Foto: imago/Westend61)

Große Komponisten wie Joseph Haydn werden in Österreich vorbildlich gefeiert - anders als bei uns.

Von GOTTFRIED KNAPP

Beethovens Geburtshaus in Bonn, Wagners Villa Wahnfried in Bayreuth und die Kirchen in Leipzig, in denen Bach musiziert hat, gehören zu den wenigen authentischen Orten im Musikland Deutschland, die an das Leben und Wirken unserer großen Komponisten erinnern. Begibt man sich zum Vergleich in das andere Musikland Österreich und schaut beispielsweise bei Joseph Haydn nach, dann kommt einem das, was dort an originalen Stätten zu bestaunen ist, wie purer Luxus vor. Das strohgedeckte Geburtshaus Haydns im niederösterreichischen Rohrau wurde zwar erst 1959 anlässlich des 150. Todestags vom Land erworben und 1982 anlässlich des 250. Geburtstags zum repräsentativen Museum der Brüder Haydn ausgebaut. Doch im burgenländischen Eisenstadt, dem Lieblingssitz der Fürsten Esterházy, wo Joseph Haydn fast vierzig Jahre lang als Hofkapellmeister tätig war und einen großen Teil seines Riesenwerks geschaffen hat, sind fast alle Orte, an denen Werke uraufgeführt worden sind, in ihrer ursprünglichen Funktion erhalten geblieben.

Das mächtige, von vier Türmen an den Ecken überragte Barockschloss der Esterházy ist im Lauf der Jahrhunderte zwar immer wieder stilistisch überarbeitet worden, doch die drei Hauptwirkungsstätten Haydns im Schloss geben auch heute noch eine präzise Vorstellung von den Bedingungen, unter denen im 18. Jahrhundert Musik von Weltrang geschaffen und aufgeführt wurde. Der Große Saal, eine der größten Raumschöpfungen des Hochbarock im nördlichen Europa - er nimmt den gesamten Gartenflügel über drei Stockwerke hinweg in Anspruch - prunkt auch heute noch, wie zu Haydns Zeiten, mit dem riesigen Freskenzyklus von Carpoforo Tencalla an der Decke. Doch zur Legende wurde der Saal, in dem Haydn die meisten seiner Symphonien uraufgeführt hat, durch seine unvergleichliche Akustik, durch die makellose Reinheit, die Kraft und die Transparenz, mit der die auf dem Podium erzeugten Töne bis in die hintersten Reihen vordringen, selbst wenn 560 Menschen im Raum Platz genommen haben.

Der "Empire-Saal" im Schloss, in dem heute Kammermusikwerke aufgeführt werden, deutet schon in seinem Namen an, dass er erst nach Haydns Wirken neu ausgestaltet worden ist. Als der Komponist dort sein berühmtes Kaiser-Quartett uraufführte, diente der Raum noch als Speisesaal und war mit Jagdszenen bemalt.

Dass Joseph Haydn im Jahr 1800 in der Kapelle des Schlosses für Lord Nelson und Lady Hamilton seine seither so genannte "Nelson-Messe" aufgeführt hat, wie einige Historiker vermuten, ist angesichts der dort herrschenden Enge allerdings eher unwahrscheinlich. Aber sicher hat der Meister, der bei seinen Besuchen in London wie ein Fürst gefeiert worden war, auf der Orgel der Schlosskapelle für die englischen Ehrengäste etwas Englisches improvisiert.

A propos Orgeln: Allein in den Kirchen Eisenstadts werden sieben Orgeln konserviert, auf denen Haydn nachweislich irgendwann oder regelmäßig gespielt hat.

Die wichtigste Stätte für Kirchenmusik in der Stadt war und ist aber immer noch die barocke "Bergkirche", ein etwas oberhalb des Schlosses gelegenes, architektonisch abenteuerliches Ensemble: Zwei Kirchen ganz unterschiedlicher Größe und Funktion, die mit ihren Chören aneinanderstoßen, also sich in entgegengesetzte Richtungen öffnen, werden auf dem abfallenden Gelände so von einem in Windungen sich hocharbeitenden Kalvariengang umschlungen, dass das ziegelrot gedeckte Ganze aussieht wie ein hochschwangeres Riesengebilde, wie ein kreißender Berg.

In der größeren der beiden Kirchen - sie besteht aus einem hohen runden Kuppelsaal, einer Vorhalle und einer darüberliegenden Musizier-Empore - hat Haydn fast all seine Messen und Oratorien aufgeführt. Heute ist der Platz für Chor, Orchester und Solisten auf der Empore zwar geschrumpft - die Orgel aus Haydns Tagen ist im 19. Jahrhundert kräftig vergrößert worden -, doch wenn gemäß der historischen Aufführungspraxis musiziert wird, lassen sich die geistlichen Hauptwerke Haydns auch heute noch in der Bergkirche überzeugend darbieten. Die Verehrung für den Meister gipfelt jedenfalls in unmittelbarer Nähe: An die Vorhalle der Kirche wurde 1820 ein Haydn-Mausoleum angebaut, ein stimmungsvoll von oben erleuchteter Rundraum, in dem irgendwann auch der in Wien geklaute Schädel des Meisters nach einer makabren Odyssee zu den übrigen Knochen gelegt werden konnte.

Joseph Haydn ist in Eisenstadt also fast omnipräsent. Ein Haydn-Pfad führt von der Bergkirche über die Wirkungsstätten in Schloss und Park zu den einschlägigen Kirchen, zum ehemaligen Wohnhaus des Musikers, in dem das nationale Haydn-Museum eingerichtet ist, und schließlich zum liebevoll gepflegten Kräutergarten der Familie am Rand der Altstadt. Musikalisch wird das Erbe Haydns in Eisenstadt auf hohem Niveau gepflegt. Die wichtigsten Initiativen gehen von den Haydn-Festspielen aus, die über das Jahr hinweg mehrere Konzertzyklen veranstalten. Bei der nächsten Runde, bei den 28. Internationalen Haydn-Tagen - sie finden vom 3. bis 13. September statt - werden die Österreichisch-Ungarische Haydn-Philharmonie, die Akademie für Alte Musik Berlin, das Orchestra of the Age of Enlightenment und die Cappella Gabetta das Werk von Franz Schubert neben das des Urvaters der Wiener Klassik stellen (www.haydnfestival.at).

Und da wir uns nun schon auf Musikerspuren durchs Burgenland bewegen, sei hier auch an die vor einigen Jahren wunderbar wiederbelebte Gedenkstätte für Franz Liszt im Geburtsort Raiding im Mittelburgenland erinnert. In dem akustisch fabelhaften neuen Konzertsaal neben dem Geburtshaus - er ist ganz aus Holz konstruiert und schwingend in einen Betonwürfel eingehängt - bietet das von den Pianisten-Brüdern Johannes und Eduard Kutrowatz künstlerisch geleitete Liszt-Festival Raiding viermal im Jahr einen Konzertzyklus an. Der letzte in diesem Jahr findet vom 21. bis 25. Oktober statt (www.lisztfestival.at). Wer dort einen Klavierabend oder eine der Symphonischen Dichtungen Liszts in der Weimarer Originalbesetzung gehört hat, wird dies mit Sicherheit nie vergessen.

Ob Haydn, Mozart oder Liszt - die vielen Dutzend Musikfestivals ersten Ranges, die über die österreichischen Bundesländer verteilt sind, zeigen es: Kultur gilt im Reiseland Österreich inzwischen als eine der Hauptattraktionen

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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