Münchner Opernfestspiele:Hochsommerliche Schwere

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Bühne auf der Bühne: Während die einen Opernästhetik diskutieren, marschieren die anderen ins KZ. Szenenbild aus David Martons Inszenierung des "Capriccio" von Richard Strauss. (Foto: Bayerische Staatsoper/W. Hoesl)

Regisseur David Marton zeigt in München, dass "Capriccio", die letzte Oper von Richard Strauss, alles andere als harmlos ist.

Von Reinhard J. Brembeck

Ihre Töne sind hochsommerlich licht und leicht, leise schwingt Melancholie mit, ein wenig Lebensabschied: Diana Damrau singt in Münchens Prinzregententheater die Hauptrolle in der letzten Oper von Richard Strauss, dem 1942 mitten im Krieg ebenfalls in München uraufgeführten "Capriccio", einer zweieinhalbstündigen Prosapetitesse der Alltäglichkeiten, die in einem französischen Adelssalon 1775 plänkelnd opernästhetische Fragen diskutiert, aber selbst die Andeutung von Weltkrieg, Holocaust und Unterdrückung (1942!) ausspart: "Wenn wir in unsrer Welt des Scheins der Wirklichkeit zu nahe kommen", singt Damraus Gräfin, "so ist die Kunst in Gefahr, sich die Flügel zu verbrennen." Aber sie weiß auch: "Die Bühne enthüllt uns das Geheimnis der Wirklichkeit ... Das Theater ist das ergreifende Sinnbild des Lebens." Ist das ein Widerspruch?

"Capriccio" heißt Laune, die berühmtesten Capricci/Caprichos hat der Teufelsgeiger Paganini komponiert, der Gesellschaftskritiker Goya radiert. Von deren Radikalität ist der fast 80-jährige Strauss in seinem "Capriccio" weit entfernt. Er meint seine Opernästhetik ganz ernst als Sinnbild des Lebens sowie als heiteres Unterhaltungstheater. Das ist ihm kein Widerspruch, sondern Dialektik. Deren an Belanglosigkeit grenzendes Parlando im "Capriccio" ist nicht leicht auszuhalten, erst recht nicht, da wieder ein Krieg in nächster Nähe tobt, die Seuche wieder aufflammt und Intoleranz weltweit zunimmt.

Die grandiose Diana Damrau als Gräfin im Münchner "Capriccio", zusammen mit dem Grafen des Michael Nagy. (Foto: W. Hoesl/Bayerische Staatsoper)

Dem Regisseur David Marton aber gelingt in München - er hat diese Version schon vor zehn Jahren in Lyon und 2016 in Brüssel gezeigt - das Kunststück, die schwierige Strauss-Dialektik zu wahren, ohne in die Abseitsfalle der Seichtheit zu stolpern. Marton wurde 1975 in Budapest geboren, ist ausgebildeter Musiker und als Regisseur unkonventionell. Er hat sich von Christian Friedländer ein Opernhaus im Längsschnitt auf die Bühne stellen lassen, in der die achtzehn fabelhaften Sänger ihren Alltag abspielen, Vorbereitungen für ein privates Theaterfest, Liebeleien, Eifersüchteleien, verhaltene Gefühle. Wie herrlich singen nicht nur Tanja Ariane Baumgartner, Kristinn Sigmundsson, Michael Nagy! Ist also die Musik, ist der Text wichtiger in der Oper? Der Streit ist alt und sinnlos, weil beides nötig ist. Also kann sich Damraus Gräfin, eine alternde Intellektuelle mit Kunstverstand, liebestechnisch weder für den Komponisten noch für den Dichter entscheiden. Die logische Konsequenz (am Wochenende war Christopher Street Day) wäre eine Ménage à trois, die zwar im Frankreich der Aufklärung lebbar war, im Hitler-Deutschland aber nicht. Also deutet Strauss nur heftig an und Marton belässt es dabei, zumal sich der Tenor des Pavol Bresnik (Musiker) und der Bariton des Vito Priante (Dichter) mit Damraus verzauberndem Sopran wundervoll stimmig zum Trio mischen.

Richard Strauss stellt als Romantiker die Kunst und die Oper weit über die soziale Wirklichkeit

Regisseur Marton würzt dezent die böse Wirklichkeit in das Ästhetikgeplänkel des Stücks, indem er den Souffleur, bei Strauss ein verschlafener Buffo, zum Denunzianten macht, der Schädelvermessungen betreibt und nicht nur die drei Tänzerinnen ins KZ schickt. Zuletzt hat sich der Spitzel verneunfacht, seine Klone sind als Mörder unter uns. Martons Eingriff rettet dadurch dieses Stück, dem man immer mit einem gewissen Misstrauen begegnet, in die Glaubwürdigkeit. Für Strauss, den zeitweiligen Nazisympathisanten, war seine Kunst zentral, er konzentrierte sich da auf Zwischenmenschliches, auf Porträts von Frauen in Krisenmomenten. Für die Avantgarde hatte er als anfänglicher Avantgardist bald nichts mehr übrig, rettete aber die Dur-Moll-Tonalität über die Weltkriege hinweg. Er gewann ihr dabei ein sonst so nicht zu hörendes Leuchten ab und komponierte als guter Dialektiker leichte Störmomente mit ein, die seine Partituren bis hin zu den letzten Liedern und den "Metamorphosen", allesamt Reflexe auf die Depression nach 1945, vor Erstarrung und Epigonentum retten.

Diese klangliche Doppelgesichtigkeit zaubern Dirigent Lothar Koenigs und das Staatsorchester unaufgeregt hin. Sie überlassen sich dem Wogen der Klänge, sie wahren die raffinierte Mache der Partitur. Strauss, das ist unüberhörbar, war ein Intellektueller der Sinnlichkeit, ein Hedonist der Gedanken. Diese Sonderstellung beschreibt der Letztling "Capriccio". Aber hier geht es letztlich nicht ums Primat von Musik oder Dichtung. Strauss stellt als Romantiker die Kunst und die Oper weit über die soziale Wirklichkeit. Diese Haltung ist konsequent stolz, sie ist aber nicht nur in Kriegszeiten schwer erträglich. Dieser Vorbehalt hängt seit 80 Jahren als oft benannte Hypothek dem "Capriccio" an. Er kann durch die fabelhaften Sänger in München übertüncht, durch David Marton benannt werden. Verschwinden aber wird er nie.

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